Full text: Gedanken und Erinnerungen. Zweiter Band. (2)

Arnim und Gontaut-Biron. Katholische Hofströmungen. 171 
Familie und Correspondenz. Alles Ausländische mit Ausnahme des 
Russischen hatte für die Kaiserin dieselbe Anziehungskraft, wie 
für so viele deutschen Kleinstädter. Bei den alten langsamen Ver- 
kehrsmitteln war früher an den deutschen Höfen ein Ausländer, be- 
sonders ein Engländer oder Franzose fast immer ein interessanter 
Besuch, nach dessen Stellung in der Heimath nicht ängstlich gefragt 
wurde; um ihn hoffähig zu machen, genügte es, daß er „weit her“ 
und eben kein Landsmann war. 
Auf demselben Boden erwuchs in ausschließlich evangelischen 
Kreisen das Interesse, welches die fremdartige Erscheinung eines 
Katholiken und, am Hofe, eines Würdenträgers der katholischen 
Kirche, damals einflößte. Es war zur Zeit Friedrich Wilhelms III. 
eine interessante Unterbrechung der Einförmigkeit, wenn Jemand 
katholisch war. Ein katholischer Mitschüler wurde ohne jedes on- 
fessionelle Uebelwollen mit einer Art von Verwunderung wie eine 
exotische Erscheinung und nicht ohne Befriedigung darüber betrachtet, 
daß ihm von der Bartholomäusnacht, von Scheiterhaufen und dem 
dreißigjährigen Kriege nichts anzumerken war. Im Hause des 
Professors von Savigny, dessen Frau katholisch war, wurde den 
Kindern, wenn sie 14 Jahre alt waren, die Wahl der Confession 
freigestellt; sie folgten der evangelischen Confession des Vaters 
mit Ausnahme meines Altersgenossen, des nachmaligen Bundestags- 
gesandten und Mitbegründers des Centrums. In der Zeit, als 
wir Beide Primaner oder Studenten waren, sprach er ohne pole- 
mische Färbung über die Motive der getroffenen Wahl und führte 
dabei die imponirende Würde des katholischen Gottesdienstes, dann 
aber auch den Grund an, katholisch sei doch im Ganzen vor- 
nehmer, „protestantisch ist ja jeder dumme Junge“. 
Diese Verhältnisse und Stimmungen haben sich geändert in 
dem halben Jahrhundert, in dem die politische und wirthschaft- 
liche Entwicklung alle Varietäten der Bevölkerung nicht blos Europas 
mit einander in nähere Berührung gebracht hat. Heut zu Tage 
kann man durch die Kundgebung, katholisch zu sein, in keinem Ber-
	        
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