Fricdlicher Charakter der deutschen Politik. 177
politischen Fragen mit entscheidender Autorität behandelten, zwar
nicht die constitutionelle Garantie einer ministeriellen Gegenzeich—
nung, aber doch das Correctiv ministerieller Mitwirkung, voraus-
gesetzt, daß sich der Allerhöchste Briefsteller genau an das Concept
hielt. Darüber erhielt der Verfasser des letztern allerdings keine
Sicherheit, da die Reinschrift garnicht oder doch nur versiegelt in
seine Hände kam.
Wie weit verzweigt die Gontaut-Gortschakow'sche Intrige ge-
wesen war, ergiebt folgendes Schreiben, das ich am 13. August 1875
aus Varzin an den Kaiser richtete 1)
„Eurer Majestät huldreiches Schreiben vom 8. d. M. aus Gastein
habe ich mit ehrfurchtsvollem Danke erhalten und mich vor Allem
gefreut, daß Eurer Majestät die Kur gut bekommen ist, trotz alles
schlechten Wetters in den Alpen. Den Brief der Königin Victoria
beehre ich mich wieder beizufügen; es wäre sehr interessant gewesen,
wenn Ihre Majestät sich genauer über den Ursprung der damaligen
Kriegsgerüchte ausgelassen hätte. Die Quellen müssen der hohen Frau
doch für sehr sicher gegolten haben, sonst würde Ihre Majestät sich
nicht von Neuem darauf berufen, und würde die englische Regirung
auch nicht so gewichtige und für uns so unfreundliche Schritte daran
geknüpft haben. Ich weiß nicht, ob Eure Majestät es für thunlich
halten, die Königin Victoria beim Worte zu nehmen, wenn Ihre
Majestät versichert, es sei Ihr #ein Leichtes nachzuweisen, daß Ihre
Befürchtungen nicht übertrieben waren. Es wäre sonst wohl von
Wichtigkeit zu ermitteln, von welcher Seite her so kräftige Irrthümer
nach Windsor haben befördert werden können. Die Andeutung über
Personen, welche als „Vertreter der Regirung Eurer Majestät gelten
müssen, scheint auf den Grafen Münster zu zielen. Derselbe kann
ja sehr wohl gleich dem Grafen Moltke akademisch von der Nütz-
lichkeit eines rechtzeitigen Angriffs auf Frankreich gesprochen haben,
obschon ich es nicht weiß und er niemals dazu beauftragt worden
1) Bismarck-Jahrbuch IV 35 ff.
Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 12