Eine indiscrete Anfrage des russischen Kaisers. 213
mäßigen vertraulichen Verkehre am Hofe mit ihm gesprochen hatte,
und das war nicht selten viel mehr, als Gortschakow mit dem Bot-
schafter sprach; der „Pruski Fligeladjudant“, wie er am Hofe hieß,
sah den Kaiser fast täglich, jedenfalls viel öfter als Gortschakow,
der Kaiser sprach mit ihm nicht bloß über Militärisches, und die
Aufträge zu Bestellungen an unsern Herrn beschränkten sich nicht
auf Familienangelegenheiten. Die diplomatischen Verhandlungen
zwischen beiden Cabineten haben ihren Schwerpunkt, wie zur Zeit
Rauchs und Münsters, oft und lange mehr in den Berichten des
Militärbevollmächtigten als in denen der amtlich accreditirten Ge-
sandten gefunden. Da indessen Kaiser Wilhelm niemals versäumte,
mir seine Correspondenz mit dem Militärbevollmächtigten in Peters-
burg nachträglich, wenn auch oft zu spät, mitzutheilen, und poli-
tische Entschlüsse nie ohne Erwägung an amtlicher Stelle faßte, so
beschränkten sich die Nachtheile dieses directen Verkehrs auf Ver-
spätung von Informationen und Anzeigen, die in solchen Immediat-
berichten enthalten waren. Es lag also außerhalb dieser Gewohn-
heit im Geschäftsverkehr, daß Kaiser Alexander, ohne Zweifel auf
Anregung des Fürsten Gortschakow, Herrn von Werder als Organ
benutzte, um uns jene Doctorfrage vorzulegen. Gortschakow war
damals bemüht, seinem Kaiser zu beweisen, daß meine Ergebenheit
für ihn und meine Sympathie für Rußland unaufrichtig oder doch
nur „platonisch" sei, und sein Vertrauen zu mir zu erschüttern,
was ihm denn auch später gelungen ist.
Bevor ich die Werdersche Anfrage sachlich beantwortete, ver-
suchte ich es mit dilatorischen Rückäußerungen, bezugnehmend auf
die Unmöglichkeit, mich auf eine solche Frage ohne höhere Ermächti-
gung zu äußern, und empfahl auf wiederholtes Drängen, die Frage
auf amtlichem, wenn auch vertraulichem Wege durch den russischen
Botschafter in Berlin im Auswärtigen Amte zu stellen. Indessen
schnitten wiederholte Interpellationen durch Werdersche Telegramme
diesen ausweichenden Weg ab. Inzwischen hatte ich Se. Majestät
gebeten, Herrn von Werder, der in Livadia diplomatisch gemißbraucht