Full text: Gedanken und Erinnerungen. Zweiter Band. (2)

Unehrliche Politik Gortschakows. Russische Kriegsdrohung. 219 
Interesse nicht berührten. Die leidenschaftliche Bitterkeit der Sprache 
aller russischen Organe, die durch die Censur autorisirte Verhetzung 
der russischen Volksstimmung gegen uns ließ es dann gerathen 
erscheinen, die Sympathien, die wir bei nichtrussischen Mächten 
noch haben konnten, uns nicht zu entfremden. 
In dieser Situation nun kam ein eigenhändiges Schreiben des 
Kaisers Alexander, das trotz aller Verehrung für den bejahrten. 
Freund und Oheim an zwei Stellen bestimmte Kriegsdrohungen 
enthielt in der Form, die völkerrechtlich üblich ist, etwa des In- 
halts: wenn die Weigerung, das deutsche Votum dem russischen. 
anzupassen, festgehalten wird, so kann der Friede zwischen uns nicht 
dauern. Dieses Thema war in scharfen und unzweideutigen Worten 
an zwei Stellen variirt. Daß Fürst Gortschakow, der am 6. Sep- 
tember 1879 in einem Interview mit dem Correspondenten des 
orleanistischen „Soleil“, Louis Peyramont, Frankreich eine sehr auf- 
fallende Liebeserklärung machte, auch an jenem Schreiben mitge- 
arbeitet hatte, sah ich dem letztern an; durch zwei spätre Wahr- 
nehmungen wurde meine Vermuthung bestätigt. Im October hörte 
eine Dame der Berliner Gesellschaft, die in dem Hôtel de I’Eu- 
rope in Baden-Baden Zimmernachbarin Gortschakows war, ihn 
sagen: „J’aurais voulu faire la guerre, mais la France a 
d’autres intentions.“ Und am 1. November war der Pariser 
Correspondent der „Times"“ in der Lage, seinem Blatte zu melden, 
vor der Zusammenkunft in Alexandrowo habe der Zar an Kaeiser 
Wilhelm geschrieben, sich über die Haltung Deutschlands beschwert 
und sich der Phrase bedient: „Der Kanzler Ew. Mojestät hat die 
Versprechungen von 1870 vergessen“ *). 
&) Der Correspondent, Herr Oppert aus Blowitz in Böhmen, wird die 
Verbreitung dieser ihm doch wohl von Gortschakow zugegangenen Nachricht um 
so bereitwilliger übernommen haben, als er mir von dem Congreß her grollte. 
Auf den Wunsch Beaconsfields, der ihn bei guter Laune erhalten wollte, hatte 
ich ihm die dritte Classe des Kronenordens verschafft. Er war über die nach 
preußischen Begriffen ungewöhnlich hoch gegriffene Auszeichnung entrüstet, 
lehnte sie ab und verlangte die zweite Classe.
	        
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