Abschluß des Defensivbundes mit Oestreich. 239
werth wäre. Die russischen Bestrebungen sind unruhig und friedlos
geblieben; der Einfluß des panslavistischen Chauvinismus auf die
Stimmungen des Kaisers Alexander hat sich gesteigert, und mit der,
wie es leider scheint, ernstlichen Ungnade des Grafen Schuwalow
hat dessen Werk, der Berliner Congreß, seine Verurtheilung durch
den Kaiser erfahren. Der leitende Minister, insoweit es einen
solchen in Rußland gegenwärtig giebt, ist der Kriegsminister Milutin.
Auf sein Verlangen sind jetzt nach dem Frieden, wo Rußland
von niemand bedroht ist, die gewaltigen Rüstungen erfolgt, welche
trotz der Finanzopfer des Krieges den Friedensstand des russischen
Heeres um 56000, den Stand der mobilen westlichen Kriegs-
armee um fast 400000 Mann steigerten. Diese Rüstungen können
nur gegen Oestreich oder Deutschland bestimmt sein, und die Truppen-
aufstellungen im Königreich Polen entsprechen einer solchen Be-
stimmung. Der Kriegsminister hat auch den technischen Com-
missionen X) gegenüber rückhaltlos geäußert, daß Rußland sich auf
einen Krieg „mit Europa“ einrichten müsse.
Wenn es zweifellos ist, daß der Kaiser Alexander, ohne den
Türkenkrieg zu wollen, unter dem Drucke der panslavistischen Ein-
flüsse denselben dennoch geführt hat, und wenn inzwischen dieselbe
Partei ihren Einfluß dadurch gesteigert hat, daß dem Kaiser die
Agitation, welche hinter ihr steht, heut mehr und gefährlicheren
Eindruck macht als früher, so liegt die Befürchtung nahe, daß es
ihr ebenso gelingen kann, die Unterschrift des Kaisers Alexander für
weitre kriegerische Unternehmungen nach Westen zu gewinnen. Die
europäischen Schwierigkeiten, welchen Rußland auf diesem Wege be-
gegnen könnte, können einen Minister wie Milutin oder Makoff
wenig schrecken, wenn es wahr ist, was die Conservativen in Ruß-
land befürchten, daß die Bewegungspartei, indem sie Rußland in
schwere Kriege zu verwickeln sucht, weniger einen Sieg Rußlands
über das Ausland, als einen Umsturz im Innern Rußlands erstrebt.
X) Welche gewisse Bestimmungen des Berliner Vertrages vom 13. Juli
1878 auszuführen hatten.