Full text: Gedanken und Erinnerungen. Zweiter Band. (2)

240 Neunundzwanzigstes Kapitel: Der Dreibund. 
Ich kann mich unter diesen Umständen der Ueberzeugung 
nicht erwehren, daß der Friede durch Rußland, und zwar nur durch 
Rußland, in der Zukunft, vielleicht auch in naher Zukunft, bedroht 
sei. Die nach unsern Berichten in jüngster Zeit versuchten Er- 
mittlungen, ob Rußland in Frankreich und Italien, wenn es Krieg 
beginnt, Beistand finden würde, haben freilich ein negatives Resultat 
ergeben. Italien ist machtlos befunden worden, und Frankreich 
hat erklärt, daß es jetzt keinen Krieg wolle und im Bunde mit Ruß- 
land allein sich für einen Angriffskrieg gegen Deutschland nicht 
stark genug fühle. 
In dieser Lage hat nun Rußland in den letzten Wochen an 
uns Forderungen gestellt, welche darauf hinausgehn, daß wir defi- 
nitiv zwischen Rußland und Oestreich optiren sollen, indem wir 
die deutschen Mitglieder der orientalischen Commissionen anwiesen, 
in den zweifelhaften Fragen mit Rußland zu stimmen, während in 
diesen Fragen unsrer Meinung nach die richtige Auslegung der 
Congreßbeschlüsse auf Seiten der durch Oestreich, England und 
Frankreich gebildeten Majorität ist, und Deutschland deshalb mit 
dieser gestimmt hat, so daß Rußland theils mit, theils ohne Italien 
allein die Minorität bildet. Obschon diese Fragen, wie z. B. die 
Lage der Brücke bei Silistria, die der Türkei vom Congreß conce- 
dirte Militärstraße in Bulgarien, die Verwaltung der Post und 
Telegraphie und der Grenzstreit über einzelne Dörfer an sich im 
Vergleich mit dem Frieden großer Reiche sehr unbedeutende sind, 
so war das russische Verlangen, daß wir in Betreff derselben nicht 
mehr mit Oestreich, sondern mit Rußland stimmen sollten, nicht 
einmal, sondern wiederholt von unzweideutigen Drohungen begleitet 
bezüglich der Folgen, welche unfre Weigerung eventuell für die 
internationalen Beziehungen beider Länder haben würde. Diese 
auffällige Thatsache war, da sie mit dem Rücktritt des Grafen 
Andrassy X) zusammenfiel, geeignet, die Besorgniß zu erwecken, daß 
X) Am 14. August hatte der Kaiser Franz Joseph die von dem Grafen 
Andrassy nachgesuchte Entlassung im Prinzip genehmigt, sich aber die definitive
	        
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