Full text: Gedanken und Erinnerungen. Zweiter Band. (2)

252 Neunundzwanzigstes Kapitel: Der Dreibund. 
einen künstlichen Haß gegen alles Deutsche geschaffen und genährt 
hat, mit dem die Dynastie rechnen muß, auch wenn der Kaiser die 
deutsche Freundschaft pflegen will. Doch dürfte die Feindschaft der 
russischen Massen gegen das Deutschthum kaum schärfer zugespitzt 
sein, wie die der Czechen in Böhmen und Mähren, der Slowenen 
in dem frühern deutschen Bundesgebiete und der Polen in Galizien. 
Kurz, wenn ich in der Wahl zwischen dem russischen und dem öst- 
reichischen Bündniß das letztre vorgezogen habe, so bin ich keines- 
wegs blind gewesen gegen die Zweifel, welche die Wahl erschwerten. 
Ich habe die Pflege nachbarlicher Beziehungen zu Rußland neben 
unserm defensiven Bunde mit Oestreich nach wie vor für geboten 
angesehn, denn eine sichre Assecuranz gegen einen Schiffbruch der 
gewählten Combination ist für Deutschland nicht vorhanden, wohl 
aber die Möglichkeit, antideutsche Velleitäten in Oestreich-Ungarn in 
Schach zu halten, so lange die deutsche Politik sich die Brücke, die 
nach Petersburg führt, nicht abbricht und keinen Riß zwischen Ruß- 
land und uns herstellt, der sich nicht überbrücken ließe. So lange 
ein solcher unheilbarer Riß nicht vorhanden ist, wird es für Wien 
möglich bleiben, die dem deutschen Bündnisse feindlichen oder frem- 
den Elemente im Zaume zu halten. Wenn aber der Bruch zwischen 
uns und Rußland, schon die Entfremdung, unheilbar erschiene, 
würden auch in Wien die Ansprüche wachsen, die man an die 
Dienste des deutschen Bundesgenossen glauben würde stellen zu 
können, erstens in Erweiterung des casus foederis, der sich bisher 
nach dem veröffentlichten Texte doch nur auf die Abwehr eines 
russischen Angriffes auf Oestreich erstreckt, und zweitens in dem 
Verlangen, dem bezeichneten casus foederis die Vertretung öst- 
reichischer Interessen im Balkan und im Orient zu substituiren, 
was selbst in unfrer Presse schon mit Erfolg versucht worden ist. 
Es ist natürlich, daß die Bewohner des Donaubeckens Bedürfnisse 
und Pläne haben, die sich über die heutigen Grenzen der östreichisch- 
ungarischen Monarchie hinaus erstrecken; und die deutsche Reichs- 
verfassung zeigt den Weg an, auf dem Oestreich eine Versöhnung
	        
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