254 Neunundzwanzigstes Kapitel: Der Dreibund.
lich ist. Die bei Gestaltung derselben mitwirkenden Factoren sind
ebenso mannigfaltig wie die Völkermischung; und zu der ätzenden
und gelegentlich sprengenden Wirkung dieser kommt der unberechen-
bare Einfluß, den je nach dem Steigen oder Fallen der römischen
Fluth das confessionelle Element auf die leitenden Persönlichkeiten
auszuüben vermag. Nicht blos der Panslavismus und Bulgarien
oder Bosnien, sondern auch die serbische, die rumänische, die pol-
nische, die czechische Frage, ja selbst noch heut die italienische im
Trentino, in Triest und an der dalmatischen Küste, können zu
Krystallisationspunkten für nicht blos östreichische, sondern auch
europäische Krisen werden, von denen die deutschen Interessen nur
insoweit nachweislich berührt werden, als das Deutsche Reich mit
Oestreich in ein solidarisches Haftverhältniß tritt. In Böhmen ist
die Spaltung zwischen Deutschen und Czechen stellenweis schon so
weit in die Armee eingedrungen, daß die Offiziere beider Nationa-
litäten in einigen Regimentern nicht mit einander verkehren und ge-
trennt essen. Für Deutschland unmittelbar existirt die Gefahr, in
schwere und gefährliche Kämpfe verwickelt zu werden, mehr auf
seiner Westseite infolge der angriffslustigen, auf Eroberung gerich-
teten Neigungen des französischen Volks, die von den Monarchen
seit den Zeiten Kaiser Karls V. im Interesse ihrer Herrschsucht im
Innern sowohl wie nach Außen groß gezogen worden sind.
Der Beistand Oestreichs ist für uns gegen Rußland leichter
zu haben als gegen Frankreich, nachdem die Frictionen dieser beiden
Mächte in dem von ihnen umworbenen Italien in der alten Form
nicht mehr existiren. Für ein monarchisches und katholisch gesinntes
Frankreich, wenn ein solches wieder erstanden, wäre die Hoffnung
nicht erstorben, ähnliche Beziehungen zu Oestreich wieder zu ge-
winnen, wie sie während des siebenjährigen Krieges und auf dem
Wiener Congreß vor der Rückkehr Napoleons von Elba bestanden,
in der polnischen Frage 1863 drohten, im Krimkriege und zur
Zeit des Grafen Beust von 1866 bis 1870 in Salzburg und Wien
Aussicht auf Verwirklichung hatten. Bei etwaiger Wiederherstellung