Full text: Gedanken und Erinnerungen. Zweiter Band. (2)

262 Dreißigstes Kapitel: Zukünftige Politik Rußlands. 
Daß die Pforte auf ein russisches Protectorat in dieser Form 
eingehe, liegt nicht nur in der Möglichkeit, sondern, wenn die 
Sache geschickt betrieben wird, auch in der Wahrscheinlichkeit. Der 
Sultan hat in frühern Jahrzehnten glauben können, daß die 
Eifersucht der europäischen Mächte ihm gegen Rußland Garantien 
gewähre. Für England und Oestreich war es eine traditionelle 
Politik, die Türkei zu erhalten; aber die Gladstoneschen Kund- 
gebungen haben dem Sultan diesen Rückhalt entzogen, nicht nur 
in London, sondern auch in Wien, denn man kann nicht an- 
nehmen, daß das Wiener Cabinet die Traditionen der Metter- 
nichschen Zeit (Dpsfilanti, Feindschaft gegen die Befreiung Griechen- 
lands) hätte in Reichstadt fallen lassen, wenn es der englischen 
Unterstützung sicher geblieben wäre. Der Bann der Dankbarkeit 
gegen den Kaiser Nicolaus war bereits durch Buol während 
des Krimkrieges gebrochen, und auf dem Pariser Congresse war 
die Haltung Oestreichs um so deutlicher in die alte Metternichsche 
Richtung zurückgetreten, als sie nicht durch die finanziellen Be- 
ziehungen jenes Staatsmannes zum russischen Kaiser gemildert, 
vielmehr durch Kränkung der Eitelkeit des Grafen Buol verschärft 
war. .= Das Oestreich von 1856 würde ohne die zersetzende Wir- 
kung ungeschickter englischer Politik selbst um den Preis Bosniens 
sich weder von England noch von der Pforte losgesagt haben. 
So wie die Sachen aber heut liegen, ist es nicht wahrscheinlich, 
daß der Sultan von England oder Oestreich noch so viel Bei- 
stand und Schutz erwartet, wie ihm Rußland, ohne eigne Interessen 
Preis zu geben, zusagen und vermöge seiner Nachbarschaft erfolg- 
reich gewähren kann. 
Wenn Rußland, nachdem es hinreichend fertig ist, um den 
Sultan und den Bosporus nöthigenfalls militärisch zu Wasser und 
zu Lande überzulaufen, dem Sultan persönlich und vertraulich vor- 
schlägt, gegen Bewilligung einer ausreichenden Befestigung und 
Truppenzahl am nördlichen Eingang des Bosporus ihm seine 
Stellung im Serail und alle Provinzen nicht nur gegen das Aus-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.