Full text: Gedanken und Erinnerungen. Zweiter Band. (2)

274 Einunddreißigstes Kapitel: Der Staatsrath. 
zu streichen, hatte aber offenbar den zu verbessernden Artikel nicht 
zu Ende gelesen und das „endlich“ stehn lassen. Sein Antrag 
wurde angenommen und in allen Stadien der Berathung beibehalten, 
und so hat denn der Artikel (jetzt 74) die sonderbare Fassung: 
Jedes Unternehmen gegen die Existenz, die Integrität, die 
Sicherheit oder die Verfassung des Deutschen Reichs, endlich 
die Beleidigung des Bundesraths, des Reichstags u. s. w. 
Vor 1848 war man beflissen, das Richtige und Vernünftige 
zu finden, heut genügt die Majorität und die königliche Unter- 
schrift. Ich kann nur bedauern, daß die Mitwirkung weitrer Kreise 
zur Vorbereitung der Gesetze, wie sie im Staatsrath und im Volks- 
wirthschaftsrath gegeben war, gegenüber ministerieller oder monarchi- 
scher Ungeduld nicht hinreichend hat zur Geltung gebracht werden 
können. Ich habe, wenn ich Muße fand, mich mit diesen Problemen 
zu beschäftigen, zu meinen Collegen gelegentlich den Wunsch ge- 
äußert, daß sie ihre legislatorische Thätigkeit damit beginnen möchten, 
die Entwürfe zu veröffentlichen, der publicistischen Kritik preis zu 
geben, möglichst viele sachkundige und an der Frage interessirte 
Kreise, also Staatsrath, Volkswirthschaftsrath, nach Umständen die 
Provinziallandtage zu hören, und alsdann erst die Berathung im 
Staatsministerium möchten eintreten lassen. Das Zurückdrängen des 
Staatsraths und ähnlicher Berathungskörper schreibe ich hauptsächlich 
der Eifersucht zu, mit der diese unzünftigen Rathgeber in öffent- 
lichen Angelegenheiten von den zünftigen Räthen und von den 
Parlamenten betrachtet werden, zugleich aber auch dem Unbehagen, 
mit dem die ministerielle Machtvollkommenheit innerhalb des eignen 
Ressorts auf das Mitreden Andrer blickt. 
Die ersten Staatsrathssitzungen, denen ich nach seiner Wieder- 
einberufung 1884 unter dem Vorsitz des Kronprinzen Friedrich Wil- 
helm beiwohnte, machten nicht nur mir, sondern, wie ich glaube, 
allen Theilnehmern einen geschaftlich günstigen Eindruck. Der Prinz 
hörte die Vorträge an, ohne ein Bedürfniß, die Vortragenden zu
	        
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