278 Zweiunddreißigstes Kapitel: Kaiser Wilhelm I.
ihn wirkten als civilistische, und ich selbst habe in dem äußern
Eindruck der Militäruniform, die ich trug, um ein mehrmaliges
Umkleiden am Tage zu vermeiden, ein Moment der Verstärkung
meines Einflusses zu finden geglaubt. Unter den Personen, die,
so lange er noch Prinz Wilhelm war, Einfluß auf seine Entwick-
lung haben konnten, standen in erster Linie Militärs ohne politi-
schen Beruf, nachdem der General von Gerlach, der Jahre hin-
durch sein Adjutant gewesen war, dem politischen Leben vorüber-
gehend fremd geworden war. Er war der begabteste unter den
Adjutanten, die der Prinz gehabt hatte, und nicht theoretischer
Fanatiker in Politik und Religion wie sein Bruder, der Präsident,
aber doch genug doctrinär, um bei dem praktischen Verstande des
Prinzen nicht den Anklang zu finden, wie bei dem geistreichen
Könige Friedrich Wilhelm. Pietismus war ein Wort und ein
Begriff, die mit dem Namen Gerlach leicht in Verbindung traten
wegen der Rolle, die die beiden Brüder des Generals, der Prä-
sident und der Prediger, Verfasser eines ausgedehnten Bibelwerks,
in der politischen Welt spielten.
Ein Gespräch, das ich 1853 in Ostende, wo ich dem Prinzen
näher getreten war, mit ihm hatte und das sich an den Namen
Gerlach knüpfte, ist mir in Erinnerung geblieben, weil es mich
betroffen machte über des Prinzen Unbekanntschaft mit unsern staat-
lichen Einrichtungen und der politischen Situation.
Eines Tages sprach er mit einer gewissen Animosität über den
General von Gerlach, der aus Mangel an Uebereinstimmung und,
wie es schien, verstimmt aus der Adjutanten-Stellung geschieden
war. Der Prinz bezeichnete ihn als einen Pietisten.
Ich: „Was denken Ew. K. H. Sich unter einem Pietisten?“
Er: „Einen Menschen, der in der Religion heuchelt, um
Carrière zu machen."
Ich: „Das liegt Gerlach fern, was kann der werden? Im
heutigen Sprachgebrauch versteht man unter einem Pietisten etwas
andres, nämlich einen Menschen, der orthodox an die christliche