Mangelhafte Vorbildung Wilhelms I. zum Regentenberuf. 279•
Offenbarung glaubt und aus seinem Glauben kein Geheimniß
macht; und deren gibt es viele, die mit dem Staate garnichts.
zu thun haben und an Carrière nicht denken."
Er: „Was verstehn Sie unter orthodox?“
Ich: „Beispielsweise Jemanden, der ernstlich daran glaubt, daß
Jesus Gottes Sohn und für uns gestorben ist als ein Opfer, zur
Vergebung unfrer Sünden. Ich kann es im Augenblick nicht
präciser fassen, aber es ist das Wesentliche der Glaubensver-
schiedenheit.“
Er, hoch erröthend: „Wer ist denn so von Gott verlassen,
daß er das nicht glaubte!“
Ich: „Wenn diese Aeußerung öffentlich bekannt würde, so-
würden Ew. K. H. selbst zu den Pietisten gezählt werden.“
Im weitern Verlauf der Unterhaltung kamen wir auf die
damals schwebende Frage der Kreis= und Gemeinde-Ordnung. Bei
der Gelegenheit sagte der Prinz ungefähr:
Er sei kein Feind des Adels, könne aber nicht zugeben, daße
„der Bauer von dem Edelmann mißhandelt werde“.
Ich erwiderte: „Wie sollte der Edelmann das anfangen?
Wenn ich die Schönhauser Bauern mißhandeln wollte, so fehlte
mir jedes Mittel dazu, und der Versuch würde mit meiner Miß-
handlung entweder durch die Bauern oder durch das Gesetz endigen."
Darauf Er: „Das mag bei Ihnen in Schönhausen so sein;
aber das ist eine Ausnahme, und ich kann nicht zugeben, daß der
kleine Mann auf dem Lande geschunden wird.“
Ich bat um die Erlaubniß, ihm eine kurze Darstellung der
Genesis unfrer ländlichen Zustände, des Verhältnisses zwischen Guts-
herrn und Bauern vorzulegen. Er nahm das Erbieten freudig
dankend an; und ich habe nachher in Norderney meine freien
Stunden dazu verwendet, dem damals 56 Jahre alten Thronerben
an der Hand von Gesetzesstellen die rechtliche Situation auseinander
zu setzen, in der sich Rittergüter und Bauern 1853 befanden.
Ich schickte ihm die Arbeit nicht ohne die Befürchtung, der Prinz