Full text: Gedanken und Erinnerungen. Zweiter Band. (2)

Wilhelm J. unter dem Einflusse seiner Gemalin. 285 
nicht ganz geschlossenen Thüre stehenden Stuhle und trug Sorge, 
durch Bewegungen mich erkennen zu lassen, daß sie Alles hörte. 
Ich ließ mich durch diesen, nicht den ersten, Einschüchterungsversuch 
nicht abhalten, meinen Vortrag zu erstatten. An dem Abende desselben 
Tages war ich in einer Gesellschaft im Palais. Ihre Majestät 
redete mich in einer Weise an, die mich vermuthen ließ, daß der 
Kaiser meine Beschwerde ihr gegenüber vertreten hatte. Die Unter- 
haltung nahm die Wendung, daß ich die Kaiserin bat, die schon 
bedenkliche Gesundheit ihres Gemals zu schonen und ihn nicht zwie- 
spältigen politischen Einwirkungen auszusetzen. Diese nach höfischen 
Traditionen unerwartete Andeutung hatte einen merkwürdigen Effect. 
Ich habe die Kaiserin Augusta in dem letzten Jahrzehnt ihres Lebens 
nie so schön gesehn wie in diesem Augenblicke; ihre Haltung richtete 
sich auf, ihr Auge belebte sich zu einem Feuer, wie ich es weder 
vorher noch nachher erlebt habe. Sie brach ab, ließ mich stehn 
und hat, wie ich von einem befreundeten Hofmanne erfuhr, gesagt: 
„Unser allergnädigster Reichskanzler ist heut sehr ungnädig.“ 
Ich hatte durch langjährige Gewohnheit allmälig ziemliche 
Sicherheit in Beurtheilung der Frage gewonnen, ob der Kaiser 
Anträgen, die mir logisch geboten erschienen, aus eigner Ueber- 
zeugung oder im Interesse des Hausfriedens widerstand. War 
erstres der Fall, so konnte ich in der Regel auf Verständigung 
rechnen, wenn ich die Zeit abwartete, wo der klare Verstand des 
Herrn sich die Sache assimilirt hatte. Oder er berief sich auf das 
Minister-Conseil. In solchen Fällen blieb die Discussion zwischen 
mir und Sr. Mojestät immer sachlich. Anders war es, wenn 
die Ursache des königlichen Widerstrebens gegen ministerielle Mei- 
nungen in vorhergegangenen Erörterungen der Frage lag, die 
Ihre Majestät beim Frühstück hervorgerufen und bis zu scharfer 
Aussprache der Zustimmung durchgeführt hatte. Wenn der König 
in solchen Momenten, beeinflußt durch ad hoc geschriebene Briefe 
und Zeitungsartikel, zu raschen Aeußerungen im Sinne antimini- 
sterieller Politik gebracht war, so pflegte Ihre Majestät den
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.