Full text: Gedanken und Erinnerungen. Zweiter Band. (2)

306 Dreiunddreißigstes Kapitel: Kaiser Friedrich III. 
ist eine Fabel. Die Hausgesetze so wenig wie die preußische Ver- 
fassungs-Urkunde enthalten irgend eine Bestimmung der Art. Da- 
gegen gab es einen Moment, in dem eine Frage staatsrechtlicher 
Natur mich nöthigte, in die Behandlung des Dulders einzugreifen, 
deren Geschichte übrigens die medizinische Wissenschaft angeht. Die 
behandelnden Aerzte waren Ende Mai 1887 entschlossen, den Kron- 
prinzen bewußtlos zu machen und die Exstirpation des Kehlkopfs 
auszuführen, ohne ihm ihre Absicht angekündigt zu haben. Ich er- 
hob Einspruch, verlangte, daß nicht ohne die Einwilligung des Pa- 
tienten vorgegangen und, da es sich um den Thronfolger handle, 
auch die Zustimmung des Familienhauptes eingeholt werde. Der 
Kaiser, durch mich unterrichtet, verbot, die Operation ohne Ein- 
willigung seines Sohnes vorzunehmen. 
Von den wenigen Erörterungen, die ich mit dem Kaiser Friedrich 
während seiner kurzen Regirungszeit zu führen hatte, sei eine er- 
wähnt, an die sich Betrachtungen über die Reichsverfassung knüpfen 
lassen, die mich in frühern Conjuncturen und wieder im März 1890 
beschäftigt haben. 
Bei dem Kaiser Friedrich war die Neigung vorhanden, der 
Verlängerung der Legislaturperiode von drei auf fünf Jahre im 
Reiche und in Preußen die Genehmigung zu versagen. In Betreff 
des Reichstags setzte ich ihm auseinander, daß der Kaiser als solcher 
kein Factor der Gesetzgebung sei, sondern nur als König von 
Preußen durch die preußische Stimme am Bundesrathe mitwirke; 
ein Veto gegen übereinstimmende Beschlüsse beider gesetzgebenden 
Körperschaften habe ihm die Reichsverfassung nicht beigelegt. Diese 
Auseinandersetzung genügte, um Se. Mojestät zur Vollziehung des 
Schriftstücks, durch das die Verkündigung des Gesetzes vom 19. März 
1888 angeordnet wurde, zu bestimmen. 
Auf die Frage Sr. Majestät, wie sich die Sache nach der 
preußischen Verfassung verhalte, konnte ich nur antworten, daß der 
König dasselbe Recht habe, einen Gesetzentwurf anzunehmen oder 
abzulehnen, wie jedes der beiden Häuser des Landtags. Se. Majestät
	        
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