54 Einundzwanzigstes Kapitel: Der Norddeutsche Bund.
auf Grund der persönlichen Freundschaft Victor Emanuels für
Louis Napoleon, sondern auch nach Maßgabe der durch Garibaldi im
Namen der öffentlichen Meinung Italiens bekundeten Parteinahme.
Der Bund Italiens mit Frankreich und Oestreich lag nicht blos
nach meiner Befürchtung, sondern nach der öffentlichen Meinung
in Europa nicht außerhalb der Wahrscheinlichkeit.
Von Rußland war einer solchen Coalition gegenüber activer
Beistand schwerlich zu erwarten. Mir selbst hatte der russenfreund-
liche Einfluß, den ich in der Zeit des Krimkrieges auf die Ent-
schließungen Friedrich Wilhelms IV. auszuüben vermochte, das
Wohlwollen des Kaisers Alexander erworben, und sein Vertrauen
zu mir war in der Zeit meiner Gesandschaft in Petersburg ge-
wachsen. Inzwischen aber hatte in dem dortigen Cabinet unter
Gortschakows Leitung der Zweifel an der Nützlichkeit einer so be-
deutenden Kräftigung Preußens für Rußland die Wirkung der
kaiserlichen Freundschaft für den König Wilhelm und der Dank-
barkeit für unfre Politik in der polnischen Frage von 1863
aufzuwiegen angefangen. Wenn die Mittheilung richtig ist, die
Drouyn de Lhuys dem Grafen Vitzthum von Eckstädt *) gemacht
hat, so hat Gortschakow im Juli 1866 den Kaiser Napoleon zu
einem gemeinsamen Proteste gegen die Beseitigung des Deutschen
Bundes aufgefordert und eine Ablehnung erfahren. Der Kaiser
Alexander hatte in der ersten Ueberraschung und nach der Sendung
Manteuffels nach Petersburg dem Ergebniß der Nikolsburger Prä-
liminarien generell und obiter zugestimmt; der Haß gegen Oest-
reich, der seit dem Krimkriege die öffentliche Meinung der russi-
schen „Gesellschaft“ beherrschte, hatte zunächst seine Befriedigung
gefunden in den Niederlagen Oestreichs; dieser Stimmung standen
aber russische Interessen gegenüber, die sich an den zarischen Ein-
fluß in Deutschland und an dessen Bedrohung durch Frankreich
knüpften.
) London, Gastein und Sadowa. Stuttgart 1890. S. 248.