Full text: Gedanken und Erinnerungen. Zweiter Band. (2)

Haltung des Auslandes gegenüber dem Siege Preußens. 55 
Ich nahm zwar an, daß wir gegen eine Coalition, die 
Frankreich etwa gegen uns aufbringen würde, auf russischen Bei- 
stand würden zählen können, aber doch erst, wenn wir das Un- 
glück gehabt haben sollten, Niederlagen zu erleiden, vermöge 
deren die Frage näher gerückt wäre, ob Rußland die Nachbarschaft 
einer siegreichen französisch-östreichischen Coalition an seinen pol- 
nischen Grenzen vertragen könne. Die Unbequemlichkeit einer solchen 
Nachbarschaft wäre vielleicht noch größer geworden, wenn statt des 
antipäpstlichen Königreichs Italien das Papstthum selbst der Dritte 
im Bunde der beiden katholischen Großmächte geworden wäre. Bis 
zum Näherrücken solcher Gefährlichkeit infolge preußischer Nieder- 
lagen hielt ich aber für wahrscheinlich, daß Rußland es nicht un- 
gern sähe, wenigstens es nicht hindern würde, wenn eine numerisch 
überlegne Coalition einiges Wasser in unsern Wein von 1866 ge- 
gossen hätte. « 
Von England dursten wir einen activen Beistand gegen den 
Kaiser Napoleon nicht erwarten, obschon die englische Politik einer 
starken befreundeten Continentalmacht mit vielen Bataillonen be- 
darf und dieses Bedürfniß unter Pitt, Vater und Sohn, zu 
Gunsten Preußens, später Oestreichs, und dann unter Palmerston 
bis zu den spanischen Heirathen, dann wieder unter Clarendon 
zu Gunsten Frankreichs gepflegt hatte. Das Bedürfniß der eng- 
lischen Politik war entweder entente cordiale mit Frankreich oder 
Besitz eines starken Bundesgenossen gegen Frankreichs Feindschaft. 
England ist wohl bereit, das stärkere Deutsch-Preußen als Ersatz 
für Oestreich hinzunehmen, und in der Lage vom Herbst 1866 
konnten wir auf platonisches Wohlwollen und belehrende Zeitungs- 
artikel dort allenfalls zählen; aber bis zum activen Beistande zu 
Wasser und zu Lande würde sich die theoretische Sympathie schwer- 
lich verdichtet haben. Die Vorgänge von 1870 haben gezeigt, daß 
ich in der Einschätzung Englands Recht hatte. Mit einer für uns 
jedenfalls verstimmenden Bereitwilligkeit Uübernahm man in London 
die Vertretung Frankreichs in Norddeutschland, und während des
	        
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