Full text: Gedanken und Erinnerungen. Zweiter Band. (2)

Ergebniß der Erwägungen für die innere Politik. 57 
vinzen einzuführen. Eine ausweichende Antwort würde das Miß- 
trauen der Verfassungsparteien hervorgerufen oder belebt haben. 
Nach meiner Ueberzeugung war es überhaupt nothwendig, die Ent- 
wicklung der deutschen Frage durch keinen Zweifel an der Verfassungs- 
treue der Regirung zu hemmen; durch jeden neuen Zwiespalt zwischen 
Regirung und Opposition wäre der vom Auslande zu erwartende 
äußere Widerstand gegen nationale Neubildungen gestärkt worden. 
Aber meine Bemühungen, die Opposition und ihre Redner zu über- 
zeugen, daß sie wohlthäten, innere Verfassungsfragen gegenwärtig 
zurücktreten zu lassen, daß die deutsche Nation, wenn erst geeinigt, 
in der Lage sein werde, ihre innern Verhältnisse nach ihrem Er- 
messen zu ordnen; daß unfre gegenwärtige Aufgabe sei, die Nation 
in diese Lage zu versetzen, alle diese Erwägungen waren der bor- 
nirten und kleinstädtischen Parteipolitik der Oppositionsredner gegen- 
über erfolglos, und die durch sie hervorgerufenen Erörterungen 
stellten das nationale Ziel zu sehr in den Vordergrund nicht nur 
dem Auslande, sondern auch dem Könige gegenüber, der damals 
noch mehr die Macht und Größe Preußens als die verfassungs- 
mäßige Einheit Deutschlands im Auge hatte. Ihm lag ehrgeizige 
Berechnung nach deutscher Richtung hin fern; den Kaisertitel be- 
zeichnete er noch 1870 geringschätzig als den „Charaktermajor“, wor- 
auf ich erwiderte, daß Se. Majestät die Competenzen der Stellung 
allerdings schon verfassungsmäßig besäßen und der „Kaiser“ nur die 
äußerliche Sanction enthalte, gewissermaßen als ob ein mit Füh- 
rung eines Regiments beauftragter Offizier definitiv zum Comman- 
deur ernannt werde. Für das dynastische Gefühl war es schmeichel- 
hafter, grade als geborner König von Preußen und nicht als er- 
wählter und durch ein Verfassungsgesetz hergestellter Kaiser die 
betreffende Macht auszuüben, analog wie ein prinzlicher Regiments- 
Commandeur es vorzieht, nicht Herr Oberst, sondern Königliche 
Hoheit genannt zu werden und der gräfliche Lieutenant nicht Herr 
Lieutenant, sondern Herr Graf. Ich hatte mit diesen Eigenthüm- 
lichkeiten meines Herrn zu rechnen, wenn ich mir sein Vertrauen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.