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Beurtheilung des russisch-preußischen Bündnißvorschlags. 65
Gleich gute Führung und gleiche Tapferkeit bei den großen Heeren
vorausgesetzt, liegt in der territorialen Gestaltung der einzelnen
Machtgebiete eine große Stärke der deutsch-russischen Combination,
wenn sie von Hause aus sicher zusammenhält. Die Berechnung
militärischen Erfolges und der Glaube an einen solchen sind aber
an sich unsicher und werden noch unsichrer, wenn die veranschlagte
diesseitige Macht keine einheitliche ist, sondern auf Bündnissen beruht.
In meinem Entwurf der Antwort, der noch länger ausfallen
mußte als der Brief des Kaisers Alexander, war hervorgehoben,
daß ein gemeinsamer Krieg gegen die Westmächte in seiner schließ-
lichen Entwicklung sich wegen der geographischen Verhältnisse und
wegen der französischen Begehrlichkeit nach den Rheinlanden noth-
wendig zu einem preußisch-französischen condensiren müsse, daß die
preußisch-russische Initiative zu dem Kriege unsre Stellung in
Deutschland verschlechtern werde, daß Rußland, entfernt von dem
Kriegsschauplatze, von den Leiden des Krieges weniger betroffen
sein, Preußen dagegen nicht nur die eignen, sondern auch die
russischen Heere materiell zu erhalten haben und daß die russische
Politik dann — wenn mein Gedächtniß mich nicht täuscht, habe
ich den Ausdruck gebraucht — an dem längern Arme des Hebels
sitzen würde, und uns auch, wenn wir siegreich wären, ähnlich wie in
dem Wiener Congreß und mit noch mehr Gewicht werde vorschreiben
können, wie unser Friede beschaffen sein solle, ebenso wie Oestreich
es 1859 bezüglich unsrer Friedensbedingungen mit Frankreich hätte
machen können, wenn wir damals in den Kampf gegen Frankreich und
Italien eingetreten wären. Ich habe den Text meiner Argumentation
nicht in der Erinnerung, obschon ich ihn vor wenigen Jahren behufs
unfrer Auseinandersetzung mit der russischen Politik wieder unter
Augen gehabt und mich gefreut habe, daß ich damals die Arbeits-
kraft besessen hatte, ein so langes Concept eigenhändig in einer
für den König lesbaren Schrift herzustellen, eine Handarbeit, die
für den Erfolg meiner Gasteiner Cur nicht förderlich gewesen sein
Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 5