148 XV. Bruch mit den Conservativen. Intrigen. Die Ressorts.
Kriege eine andere sein mußte, als zur Zeit des Conflictes:
damals galt es, dem demokratischen Fortschritt und
demagogischer Ueberstürzung einen Hemmschuh anzulegen, nach
1866 hätte sie sich umwandeln müssen in eine Partei des
conservativen Fortschrittes. Indem sie das versäumte,
drängte sie selbst Bismarck zum Anschluß an die liberale
Partei, der für die höchste seiner Aufgaben, die Consolidirung
der neuen Ordnung vor dem zu erwartenden Kriege gegen
Frankreich, die Hilfe nehmen mußte, wo sie sich ihm bot.
Nicht bei allen seinen conservativen Gegnern konnte Bis-
marck „achtbare prinzipielle“ Gründe ihrer Gegnerschaft er-
kennen, „die in dem Einzelnen eine stärkere Triebkraft aus-
übten, als ihr mehr preußisches wie deutsches Nationalgefühl.“
Bei den einen lag das Motiv der Opposition im Streberthum,
so bei Harry v. Arnim, R. v. d. Goltz u. A., die sich klüger
dünkten, als Bismarck:) bei den andern, den Standesgenossen
vom Landadel, im Neid über die außergewöhnliche Carriere
eines der Ihrigen, der es vom schlichten Landjunker über die
auch Andern zugängliche „Excellenz“ hinaus zur „Durchlaucht“
gebracht hatte, so wenig Bismarck jemals etwas Anderes sein
wollte, als der Landedelmann, der er nach Geburt und Er-
ziehung war. Die Gegnerschaft der Conservativen fand ihren
Ausdruck in der verurtheilenden Kritik der Bismarckschen
Politik bei Gelegenheit des Schulaussichtsgesetzes im Jahre 1872
durch den damaligen Führer der Partei, Herrn v. Kleist-
Retzow. Bei dem hervorragend politischen Zwecke des Schul-
aufsichtsgesetzes war es eine ausgesuchte Thorheit der conserva-
tiven Partei, die Regierung im Stiche zu lassen, und Fürst
Bismarck ist bis an den Tod der in den „Gedanken und Er-
innerungen“ ausgesprochenen Ueberzeugung treu geblieben,
daß Herr v. Kleist-Retzow, indem er seine Parteigenossen —
gleichgültig aus welchen Gründen — zu solchem Widerstand
verleitete, das Land und die conservative Sache schwer geschädigt
habe. „Wenn die conservative Partei“, sagt er im Rückblick
1) Bekannt ist der Ausspruch von Goltz: „Nun macht der Mensch
meine Politik und macht sie falsch!“