198 XX. Kaiser Wilhelm I. Kaiser Friedrich.
Natur einer vis major, gegen die zu reagiren mir nicht gegeben
sei, etwa wie das Wetter oder die See, wie ein Naturereigniß,
auf das ich mich einrichten müsse“. Mit der Pietät eines
Sohnes gedenkt Bismarck in Reue und Mißbilligung des
passiven Widerstandes, zu dem er sich gelegentlich „in der
Stimmung einer durch fortgesetzten Kampf erzeugten Nervosität"
durch sachliche, politische Interessen verleiten ließ, für die er
bei dem alten Herrn entweder kein Verständniß oder eine vor-
gefaßte Meinung vorfand. Die Wärme seines edlen Herzens,
die sich auch in seinen Ansprachen, Proclamationen, Briefen
nicht verleugnet, die Treue, die er Jedem gewährte, der zu
ihm in nähere Beziehungen trat, erzeugten bei seinen Dienern
bis zu den Ministern hinauf eine Hingabe auf Leben und
Tod, wie sie die Gefolgschaften germanischer Fürsten des Alter-
thums zum Staunen der Römer bewährten. Und nicht ohne
Grund nennt sich Fürst Bismarck in seiner Grabschrift einen
treuen Diener Wilhelms I. Er fühlte sich als Diener
dieses Herrn, der freudig anerkannte, wie vieles er seinem
bewährten Rathgeber verdankte, und frei von aller Eifersucht
auf seine großen Erfolge der Erste war, ihm bei der Feier
des 70. Geburtstages Ehren zu erweisen, wie sie noch niemals
ein gekröntes Haupt einem Minister freiwillig entgegengetragen
hat. „Treue um Treue“ — das ist das Merkmal dieses in
der Geschichte einzig dastehenden Verhältnisses zwischen König
und Minister; dies Wort darf auch als Motto über den Briefen
Wilhelms J. stehen, die den „Gedanken und Erinnerungen“ als
ein Zeugniß von unantastbarer Beweiskraft einverleibt sind.
Den Schluß des Capitels bildet ein Brief der Kaiserin
Augusta vom Ende des Jahres 1888: er zeigt, daß der alternden
Kaiserin doch auch ein dankbares Empfinden für die Selbst-
losigkeit, mit der Bismarck ihrem Gatten, ihrem Sohne und nun
schon dem Enkel diente, nicht fremd war. „Sie haben mir in
bitteren Stunden Theilnahme bewiesen, deshalb fühle ich mich
berufen, Ihnen, bevor ich dieses Jahr beschließe, nochmals zu
danken und dabei auf die Fortdauer Ihrer Hilfe zu rechnen,
mitten unter den Widerwärtigkeiten einer vielbewegten Zeit“.
So klingt in milden und versöhnlichen Tönen die an Kämpfen