Charakterbild Wilhelms I. Nachfolge Friedrichs III. 199
und Stürmen, aber auch an herrlichen Erfolgen reiche Zeit
Wilhelms I. aus.
Die Meinung, daß der Regierungsantritt Friedrichs III.
mit einem Ministerwechsel verbunden sein müsse, dem auch
Bismarck zum Opfer fallen werde, war weit verbreitet, und
doch war sie irrig. Die frühere, aus liberalisirenden und
englischen Einflüssen hervorgegangene Abneigung des Kron-
prinzen war längst einem unbedingten Vertrauen gewichen,
das auch allen Versuchen gegenüber, es zu erschüttern, Stand
hielt. Schon seit 1885 wußte Bismarck, daß er im Falle eines
Thronwechsels Kanzler bleiben würde; und als das Ableben
Wilhelms I. den dem Tode geweihten Erben der Kaiserkrone
aus dem milden Süden nach dem rauhen Norden rief, da
konnte der Gedanke, Bismarck zu entlassen und damit dem
Reichsschiff den kundigen Steuermann zu nehmen, weder in
dem Herzen Friedrichs III. noch in dem seiner Gemahlin Platz
greifen. Denn so schroff der Gegensatz auch war zwischen den
Anschauungen der Kaiserin, die immer mit Zähigkeit die In-
stitutionen ihres Vaterlandes für die allein mögliche Form des
modernen Staatslebens gehalten hat, und denen des Kanzlers,
dem die preußische Krone immer der „Mittelpfeiler des Staats-
gebäudes“ war, so war sie doch überzeugt, daß Bismarcks Bei-
behaltung im Nutzen der Dynastie liege.
Die Nachfolge Friedrichs III. entsprach, trotz seiner un-
heilbaren Krankheit, der preußischen Verfassung, die durch
keinerlei Bestimmung einen schwerkranken Kronprinzen von
der Thronfolge ausschließt. Da die Reichsverfassung nur die Be-
stimmung enthält, daß der Titel eines deutschen Kaisers erblich
dem jeweiligen Träger der preußischen Krone zukommt, so war
der neue König von Preußen auch rechtmäßiger deutscher Kaiser.
Bismarck hat es nöthig gefunden, dies in den „Gedanken und
Erinnerungen“ zu constatiren, sowie der in einem englischen
Werke über Kaiser Wilhelm II. aufgestellten Behauptung zu
widersprechen, daß Friedrich III. schon 1887 urkundlich zu
Gunsten seines Sohnes auf die Nachfolge Verzicht geleistet
habe. In die ärztliche Behandlung des Dulders hat Bismarck
nur einmal Einspruch erhoben, als die Aerzte Ende Mai 1887 eine