Full text: Wegweiser durch Bismarcks Gedanken und Erinnerungen. (3)

220 Anhang 2. 
des andern darunter gelitten hätten. Zwei Nachbarn in Europa, 
die seit mehr als einem Jahrhundert nicht das geringste Gelüst 
nach Feindseligkeit bewiesen haben, sollten aus dieser Thatsache 
allein den Schluß ziehen, daß es divergirende Interessen zwischen 
ihnen nicht giebt. Dieser Ueberzeugung bin ich im Jahre 1848, 
54, 63 und in der gegenwärtigen Lage gefolgt, und ich habe sie 
zum Gemeingut der großen Mehrheit meiner Landsleute gemacht. 
Ein solches Werk wird es vielleicht leichter sein zu zerstören, als 
zu schaffen, besonders in dem Falle, daß meine Nachfolger nicht 
die gleiche Beharrlichkeit daran setzen sollten, wie ich, Beziehungen 
zu pflegen, deren Gewohnheit ihnen fehlen wird und für deren 
Aufrechterhaltung man bisweilen seiner Eigenliebe entsagen und 
seine Empfindlichkeiten den Interessen seines Herrn und seines 
Landes unterordnen muß. Ich weiß etwas davon zu sagen, aber 
ich führe nicht Buch über die kleinen Possen, die mir mein ehe— 
maliger Freund und Vormund von Petersburg spielt, noch über 
seine „Liebeleien“ mit Paris oder über die Orlows. Ein alter 
Praktikus meines Schlags läßt sich durch blinden Lärm nicht aus 
dem Geleise werfen, aber wird es ebenso sein mit den Kanzlern, 
die mir folgen werden und denen ich meine Kaltblütigkeit und 
meine Erfahrung nicht vererben kann? Es erscheint vielleicht 
leichter, ihr politisches Urtheil zu verwirren durch offiziöse 
Zeitungen, durch übelwollende Aeußerungen, durch private Briefe, 
die man in Umlauf setzt. Ein deutscher Minister, dem man die 
Leichtigkeit einer Coalition auf der Basis der Revanche durch- 
blicken läßt, wird, erschreckt durch den Gedanken der Isolirung, 
sich durch ungeschickte, vielleicht sogar unheilvolle Verbindungen 
zu decken suchen, die nachher schwer zu lösen sind. Es liegt 
soviel Kraft und Sicherheit in einer Allianz der beiden Reiche, 
daß mich der bloße Gedanke entsetzt, daß sie eines Tages ohne 
den geringsten politischen Grund auf's Spiel gesetzt werden könnte, 
einzig und allein durch den Willen irgend eines Staatsmannes, 
welcher die Abwechselung liebt oder der den Franzosen liebens- 
würdiger sindet als den Deutschen; in diesem Punkte würde ich 
vollkommen seiner Meinung sein, aber ohne die Politik meines 
Landes dieser Anschauung unterzuordnen. So lange als ich an 
der Spitze unserer Geschäfte stehen werde, werdet ihr (die Russen)
	        
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