Full text: Wegweiser durch Bismarcks Gedanken und Erinnerungen. (3)

Dynastisches und Nationalgefühl bei den Deutschen. 71 
fester geschmiedeten Nationen zur Beute fallen. Weil aber 
der Deutsche im Wesentlichen dynastisch empfindet, so läßt er 
sich auch leicht bestimmen, mit dem Landsmann auf Leben 
und Tod zu kämpfen, „wenn in Folge von Streitigkeiten, die 
ihm selbst unverständlich sind, der dynastische Befehl dazu 
ergeht.“ 
Wie urtheilt nun Fürst Bismarck über den dynastischen 
Sinn der Deutschen? In ihm selbst ist jeder Zeit ein starkes 
Gefühl für die Dynastie der Hohenzollern lebendig gewesen; 
er stand zu seinem Könige und Herrn immer mit der Treue 
des kurbrandenburgischen Lehnsmannes. Deshalb mußte ihm 
die gleiche Gesinnung sympathisch sein, wo er ihr bei Andern 
begegnete. Und so verhehlt er nicht, daß er für die Anhäng- 
lichkeit der heutigen welsischen Partei an die alte Dynastie 
volles Verständniß habe. Aber in Concurrenz mit dem 
dynastischen Gefühle ist bei Bismarck von Jugend auf das 
deutsch-nationale Gefühl vorhanden gewesen, und dieses Element 
vermißt er in der kurbraunschweigischen Vasallentreue. Er 
sieht in dem deutschen Nationalgefühl immer die stärkere Kraft 
überall, wo sie mit dem Particularismus in Kampf geräth, 
weil der letztere, auch der preußische, selbst doch nur entstanden 
ist, „in Auflehnung gegen das gesammtdeutsche Gemeinwesen, 
gegen Kaiser und Reich, im Abfall von beiden, gestützt auf 
päpstlichen, später französischen, in der Gesammtheit welschen 
Beistand, die alle dem deutschen Gemeinwesen gleich schädlich 
und gefährlich waren.“ Dynastischen Interessen erkennt er in 
Deutschland nur insoweit Berechtigung zu, als sie sich dem 
allgemeinen, nationalen Interesse anpassen; wo das nicht 
geschieht, wo uns dynastische Interessen mit neuer Zersplitte- 
rung und Ohnmacht der Nation bedrohen sollten, da müssen 
sie auf ihr richtiges Maß zurückgeführt werden, denn „das 
deutsche Volk und sein nationales Leben können nicht unter 
fürstlichen Privatbesitz vertheilt werden.“ Es war eine pro- 
videntielle Fügung, daß Fürst Bismarck in König Wilhelm l. 
einen Monarchen fand, der trotz seines starken dynastischen 
Bewußtseins doch immer wieder den nationalen Erfordernissen 
sich zugänglich zeigte, so hart und schwer auch in einzelnen
	        
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