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111.
Legationsrath Wentzel an Bismarck.
Frankfurt 12. Januar 1855.
Euer Excellenz
kann ich nicht viel Neues von hier melden. Die Situation ist
durch die Eröffnung von Verhandlungen in Wien eine andere
geworden, der Oesterreichische Mobilisirungs-Antrag hat sich
dadurch für den Augenblick von selbst erledigt. Ich zweifele
nicht, daß es unsere Ablehnung gewesen ist, die Oesterreich zu
scheinbarer Nachgiebigkeit in der Form bestimmt hat und daß
es die Mobilisirung eher durchzusetzen glaubt, wenn der Friede
nicht erreicht wird. Denn daß man alle Schuld auf Rußland
schieben würde, ist gewiß. Herr v. Prokesch erzählt hier, daß
Graf Buol es gewesen, der dem Fürsten Gortschakoff die Brücke
zu den Verhandlungen gebaut. Mir hat er gesagt, daß Oester-
reich sich jetzt in London und Paris bemühe, einen Waffen-
stillstand zu vermitteln.
Die Frage, ob und wie Preußen in die Wiener Conferenz
eintreten würde, beschäftigt jetzt die Leute. Mir scheint, daß
Oesterreich nach dem Vertrage vom 201en April und dem Zusatz-
Artikel nicht ohne uns verhandeln darf und daß, wenn es dies
dennoch thut, diese Verträge dadurch von selbst ihre Wirksam-
keit verlieren. Man sollte aber denken, daß die Westmächte
unsere Zuziehung wünschen müssen. Denn unser Beitritt zu
den etwaigen Verträgen muß ihnen nothwendig sein, und des-
halb werden sie sich wohl schwerlich der Gefahr aussetzen, daß
wir künftig den Beitritt ablehnen, weil wir nicht bei den Ver-
handlungen gefragt sind. — Gestern sind 2 Depeschen, die Zu-
ziehung des Bundes zu den Wiener Conferenzen betr., über
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