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126.
Graf Platen an Bismarck.
Hannover den 29ten Dec. 1855.
Verehrtester Freund!
1855 Der am 22ten d. erfolgte Erlaß des Gesetzes, die Be-
29. 12. schränkung der Zuständigkeit der Schwurgerichtshöfe betr., wird
ohne Zweifel ein gewaltiges Geschrei nicht nur bei den Demo-
kraten und Constitutionellen verursachen, sondern auch bei sonst
gutgesinnten aber zu sehr an Formen klebenden Conservativen.
Es ist überhaupt zu erwarten, daß dies Gesetz die verschieden-
artigste Beurtheilung erfahren wird. Da es meinem Collegen
und besonders mir daran gelegen ist, daß dieser Schritt der
Königl. Regierung bei Ihnen, verehrtester Freund, in seinem
wahren Lichte erscheint, erlaube ich mir Ihnen Abschrift von
einer Circular-Depesche zu übersenden, welche die Motivirung
des Gesetzes enthält. Zugleich verfehle ich nicht hinzuzufügen,
daß uns hauptsächlich zwei Vorwürfe gemacht werden werden,
nämlich erstens der, daß der § 122, auf den das Gesetz sich
stützt, nicht zutreffend ist, und zweitens, daß bei der bevor-
stehenden nahen Zusammenberufung der Stände der Erlaß des
Gesetzes ein Eingriff in deren Befugnisse sei. In Bezug auf
den ersten Punkt bemerke ich, daß allerdings der § 122 auf
andere Fälle als den vorliegenden zielt. Dem Wortlaute nach
aber paßt er, denn es ist wahrlich ein außerordentlicher und
auch das Staatswohl ernstlich bedrohender Fall, wenn eine
Schmähschrift wie die Auricher ungestraft bleibt, wenn es den
Unterthanen erlaubt ist, ihrem Souverän Wortbruch vorzu-
werfen und dem Bunde und der Regierung Hohn zu sprechen.
Wollte man die Königliche Autorität nicht im Schmutze liegen
lassen, so mußte schnell geholfen werden und einem Scandale
Einhalt geschehen, der alles Regieren unmöglich macht. Was