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160.
Minister v. Schleinitz an Bismarck.
Berlin den 31. December 1859.
Verehrter Freund,
1859 Zu wie großer und aufrichtiger Freude es mir gereicht, daß
81. 12. nun Ihre Reconvalescenz') als eine Wahrheit in des Wortes
weitester Bedeutung betrachtet werden kann, brauche ich Ihnen
nicht zu sagen. Diese Freude würde allerdings eine noch
größere sein, wenn Ihre Gesundheit Ihnen schon jetzt oder in
nächster Zukunft gestattet hätte, einen Posten wieder einzu-
nehmen, auf welchem Sie gerade jetzt unentbehrlich und meiner
Ueberzeugung nach durch Niemand auch nur in provisorischer
Weise zu ersetzen sind. Indessen war der jetzige Zustand nicht
mehr zu halten, theils der Sache wegen, theils gegenüber den
wiederholten Andeutungen, die von Petersburg gekommen sind.
Wir sind jetzt in der That, hinsichtlich unserer diplomatischen
Vertretung beim Russischen Cabinet, auf dem vollständigsten Null-
punkt angelangt; daß dieß in einem Augenblicke, wo Oester-
reich dem Grafen Thun") carte blanche gegeben hat, auf jede
Bedingung hin das alte Verhältniß mit Rußland wieder her-
zustellen und wo es demnach von höchster Wichtigkeit ist, diese
Bestrebungen zu überwachen, die mit der persönlichen Stellung
und der Zukunft des Fürsten Gortschakoff in so nahem Zu-
sammenhange stehn, als ein durchaus unzulässiger Zustand be-
zeichnet werden muß, das, mein verehrter Freund, wird gewiß
Niemand bereitwilliger anerkennen als Sie Selbst. Der Congreß
ist seit der brochure de I'Empereur überhaupt wieder sehr
zweifelhaft geworden, wenn indessen Gortschakoff vorläufig
*) Bismarck war Anfang November in Hohendorf an schwerer
Lungenentzündung erkrankt, die ihn bis Anfang März 1860 dort festhielt.
*) Oesterreichischer Gesandter in Petersburg.