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etwas gesagt noch geschrieben zu haben, was nur im Aller- 1860
entferntesten zu der erwähnten Auslegung habe Veranlassung 2
geben können. Und wenn die ganze Sache daher nicht auf
einem Mißverständnisse von Ihrer oder von Gortschakoffs Seite
beruht, so wäre noch zu ergründen, welche tiefere Absichten
diesen poetischen Insinuationen zum Grunde liegen könnten.
Das Referat über Ihre Audienz beim Kaiser macht einen er-
freulichen und zugleich einen peinlichen Eindruck. Erfreulich,
insofern als sich in allen Aeußerungen des Kaisers seine edle
uneigennützige und Preußen freundliche Gesinnung wieder-
spiegelt. Peinlich, insofern der treffliche Herr sich abmüht uns
für eine Idee zu gewinnen, der, wenigstens nach seiner eignen
Auffassung, keine recht praktische Seite abzugewinnen ist. Er
wünscht ein intimeres Verhältniß mit uns und Frankreich
hauptsächlich aus dem Grunde, um den Kaiser Louis Napoleon
durch die anständige Gesellschaft, in die man ihn auf diese Weise
versetzt, von unanständigen Dingen abzuhalten. Damit können
wir ganz einverstanden sein, und zu diesem Ende werden wir
Rußland stets unsere aufrichtigste und eifrigste Mitwirkung ge-
währen. In derselben Absicht, die den Kaiser Alexander hier-
bei leitet, haben wir uns schon seit langer Zeit und unaus-
gesetzt bemüht in möglichst freundschaftlichen und wohlwollenden
Beziehungen mit unserm westlichen Nachbarn zu leben. In
diesen Bemühungen werden wir auch ferner fortfahren, allein
wird ein Verhältniß, das nicht einen mehr oder weniger ex-
clusiven Charakter annimmt und nicht ganz specielle, die
Zwecke Frankreichs fördernde Zwecke verfolgt, dem Imperator
an der Seine auf die Länge genügen? Ich glaube es kaum,
vermuthe vielmehr, daß wir durch eine vorzugsweise In-
timität mit Frankreich nach und nach und ohne es zu wissen
und zu wollen in die Sphäre seiner Politik hineingezogen
werden würden. Wenn man die einzelnen jetzt vorliegenden
politischen Fragen beobachtet, so leuchtet auf den ersten Blick
. 6.