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1860 ein, daß keine einzige sich darunter befindet, in welcher Frank-
26. 6. reichs Zwecke die unfrigen oder die unfrigen zugleich Frank-
reichs Zwecke wären. Derselbe Mangel an Uebereinstimmung
scheint mir im wesentlichen auch zwischen der Russischen und
Französischen Politik stattzufinden oder sollte wenigstens statt-
finden. Denn auch Rußland kann an und für sich weder in der
savoyischen noch in der italienischen Frage die Politik Frankreichs
gutheißen, und wenn es sich ihr nicht lebhaft widersetzt, so ge-
schieht es in der vielleicht sehr trügerischen Hoffnung, auf andern
Gebieten, namentlich im Oriente wichtige Gegenleistungen für
seine Complaisancen zu erkaufen. Die orientalische Frage wird
Frankreich aber erst loslassen (poser), wenn es seinerseits
den besten Handel damit machen zu können glaubt. Demnach
würde die entente selbst zwischen Rußland und Frankreich
auf sehr schwachen Füßen stehen, allein was sollten wir und
gar noch als Dritter in diesem Bunde für eine Rolle spielen,
wenn es nicht die des geprellten Alten wäre? Für uns giebt
es kein Compensations-Object, da wir vorläufig den so äußerst
patriotischen deutschen Bundesgenossen gegenüber nicht daran
denken können, sie, wie Graf Ugolino es mit seinen Kindern
machte, zu verspeisen in der wohlwollenden Absicht, ihnen einen
Vater zu erhalten. Die Unmöglichkeit eines speciellen Bünd-
nisses oder einer speciellen entente mit den Imperatoren des
Ostens und des Westens schließt aber nicht aus, ich wiederhole
es, daß wir mit beiden uns auf den freundschaftlichsten Fuß
zu stellen suchen. Rußland gegenüber ist dies ja glücklicher
Weise das natürliche und normale Verhältniß. Und Frankreich
gegenüber wird, wie Fürst Gortschakoff ganz richtig sagt, für
die nächste Zukunft die eben stattgehabte Entrevue ?) ihre wohl-
thätige Wirkung hoffentlich nicht verfehlen. In Frankreich ist
gerade, um diese Wirkung zu erreichen, das entsprechende mot
*) In Baden-Baden, 16. Juni 1860.