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154.
Minister v. Schleinitz an Bismarck.
Berlin, den 21. September 1860.
Verehrter Freund,
1860 Die verschiedenen in der Form von Privatbriefen Ihrer-
21. 9. seits in letzter Zeit an mich gerichteten Mittheilungen sind mir,
ohne Zweifel in ununterbrochener Vollständigkeit, während meines
ländlichen Aufenthalts in Thüringen, wo es mir zwar nicht an
Zeit, aber wohl an sicherer Gelegenheit und an Stoff gebrach,
um sie in angemessener Weise zu beantworten, zugegangen. Seit
zwei Tagen in die Residenz zurückgekehrt, habe ich zunächst eine
solche Masse angesammelten Stoffes in Form bisher retinirter
diplomatischer Conversationen und geschriebener Aktenstücke vor-
gefunden, daß ich mich auch heute nur auf wenige Zeilen be-
schränken muß, die zunächst den Zweck haben, Ihnen für Ihre
interessante Correspondenz meinen Dank auszusprechen und
Ihnen die vorläufige Mittheilung zu machen, daß es mir, zwar
nicht ohne harte Kämpfe, aber dennoch gelungen ist, den über
Ihrem Haupte schwebenden Gehaltsabzug glücklich abzuwenden.
Der eigenhändige Brief des Regenten, der Ihnen heute zu-
geht, um durch Ihre Vermittelung dem Kaiser zugestellt zu
werden, hat den Zweck, einigermaßen vorbauend die Richtung
zu bezeichnen, die unser allergnädigster Herr bisher in seinen
Zusammenkünften festgehalten hat, und die er auch bei dem
Warschauer Rendezvous nicht zu verlassen wünscht. Ob dies
ganz mit des Kaisers und des Fürsten Gortschakoff Absichten
stimmt, die vielleicht bei ihnen selbst noch nicht ganz feststehen
und über die jedenfalls für uns noch ein gewisses Dunkel schwebt,
wird erwartet werden müssen. Es versteht sich von selbst, daß.
die Warschauer Zusammenkunft für uns vor allen Dingen den
Charakter einer gegen England gerichteten Demonstration nicht.