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und mittheilbarem Stoff hier angesammelt hat. Von großer Wich- 1860
tigkeit ist es aber nicht. Die in Ihrem letzten politischen Berichte 80. 11.
(durch General Hopfgarten überbracht) erwähnte Russische Mit-
theilung ist mir durch Budberg vorgestern gemacht worden, und
ich habe mich sowohl aus deren Tenor als aus den mündlichen
Aeußerungen des Gesandten überzeugt, daß es dem dortigen Cabi-
net erwünscht sein wird, wenn wir uns auch unfrerseits gegen-
wärtig über den Gegenstand der Warschauer Besprechungen?)
mit dem französischen Hofe in direktes Einvernehmen setzen. Dem-
gemäß wird Pourtales“) alsbald mit entsprechender Instruction
versehen werden, obgleich ich mir von diesen Pourparlers kein
übermäßig glänzendes Resultat verspreche. Indessen muß man
par acquit de conscience doch das Seinige thun, um es des
lieben Friedens willen auch ferner nicht an den entsprechenden
Coups d’olivier dans l'eau fehlen zu lassen. Seit gestern ist hier
im Publikum das Gerücht stark akkreditirt, daß Oesterreich ernst-
lich damit umgehe, sich in der Rolle des Kaufmanns von Venedig
zu versuchen, wäre das richtig, woran ich vorläufig mir zu
zweifeln erlaube, so würden wir von dieser Seite vorläufig
aller Nöthe überhoben sein. Daß es in Oesterreich trotz der
Oktroyirung vom 20. Oktober schlimm aussieht, und compa-
rativ vielleicht schlimmer als vorher, ist nicht zu verkennen,
und ich habe das Gefühl, daß eine Catastrophe, wenn auch
zunächst nur eine finanzielle, nicht mehr Monate, vielleicht kaum
Wochen auf sich warten lassen wird. — Die liberalen Anwand-
lungen des Kaisers der Franzosen unterliegen mannigsacher
Deutung, ich glaube, daß doch zunächst nur eine Stärkung gegen
die in letzter Zeit nicht unbedeutend gewachsene katholische Be-
wegung bezweckt ist, für ganz unbedeutend halte ich die Zu-
geständnisse jedenfalls nicht und glaube, daß sie im Großen
und Ganzen für eine friedlichere und weniger remüante Politik
*) 21.—26. October.
*“ ) Gesandter in Paris.
Aus Bismarchs Briefwechsel. 21