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297.
Kronprinz Friedrich Wilhelm an Bismarck.
Berlin 12. Januar 1876.
Ich danke Ihnen für die Mittheilung der Gründe, welche 1878
Sie bestimmt haben, den Professor Dr. Geffscken nicht zu em-
pfangen, sowie für die Ihrem Schreiben beigefügten, den Acten
des Auswärtigen Amtes entnommenen Notizen. Ich gestehe
gern, daß ich Ihnen nicht zugemuthet haben würde, meinen
ehemaligen Studiengenossen von der Bonner Hochschule zu
sehn, wenn mir Ihre Ansichten über ihn bekannt gewesen wären.
Bei meinen langjährigen, wenn auch häufig unterbrochenen
Beziehungen zu Dr. Gefscken habe ich bei demselben weder
eine Hinneigung zum Katholicismus noch eine grundsätzliche
Gegnerschaft zu Preußen jemals wahrgenommen. Vielmehr
konnte ich aus seiner ganzen Haltung, wie aus seinen oftmaligen
Aeußerungen nur entnehmen, daß an seiner eifrig protestan-
tischen Gesinnung ebensowenig zu zweifeln sei, wie an seinem
Patriotismus, wenn auch die Neigung zu abfälligen Kritiken
ihn hin und wieder der Gefahr auszusetzen schien, wider seine
Absicht zu den Feinden der Reichsregierung gezählt zu werden.
Ich konnte daher immerhin glauben, daß es Ihnen von
Interesse sein möchte, über eine Frage, welche in ihrer weit-
reichenden Bedeutung Sie fast täglich in Anspruch nimmt, die
Ansichten eines Mannes zu hören, den ich freilich als Gegner
unserer gegenwärtigen Kirchenpolitik kannte, dessen Ansichten
über dieselbe auch ich zu theilen keineswegs geneigt war, von
dem ich aber nach seinen eigenen Versicherungen annehmen
mußte, daß er mit noch größerer Entschiedenheit als Gegner
der Ultramontanen betrachtet werden durfte. Um so über-
raschender ist mir daher die Mittheilung gewesen, daß Ihnen
Dr. Gesscken von betheiligter Seite als derjenige angedeutet
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