1876
6. 7.
– 488 —
304.
Bismarck an Botschafter Graf Münster.
Kissingen 6 Juli 1876.
Geehrter Freund
Der Keiser schreibt mir heut über den Inhalt Ihrer Im-
mediatberichte und wünscht in einigen Tagen meinen münd-
lichen Vortrag darüber. Aus der Umgebung wird mir ge-
schrieben, daß Se. Majestät durch Ihren ersten Bericht sehr be-
wegt und erregt worden, und diese Erregung sich dem Kaiser
Alexander mitgetheilt und dessen Mißtrauen gegen England
gesteigert habe. Auch Ihre Majestät die Kaiserin hat davon Ver-
anlassung genommen an Ihre Majestät die Königin Victoria zu
schreiben. Ich ersehe daraus mit Beruhigung, daß der auswärtige
Dienst durch den Ausfall meiner Mitwirkung nichts an Thätig-
keit verliert. Ich werde auch im mündlichen Vortrage nicht
im Stande sein, Sr. Majestät über den Inhalt Ihrer Berichte
etwas Erhebliches sagen zu können, da nur die Zukunft selbst
entscheiden kann, ob und inwieweit Vorhersagungen eintreffen.
Der Bruch zwischen England und Rußland wäre eine
große Calamität und ein europäisches Unglück; für uns speciell
wäre der zwischen Oesterreich und Rußland noch gefährlicher.
Nach den Allerhöchsten Randbemerkungen vermuthe ich, daß
Se. Majestät Sie beauftragen wird, beruhigend auf England
zu wirken, dessen Kriegslust Sr. Majestät in analogem Lichte
erscheint, wie die Napoleons 1870. Wenn sie wirklich zum
Ausbruch käme, so würde, wie ich glaube, das Urtheil unseres
Allergnädigsten Herrn bei allen mit der Sachlage Vertrauten
das allgemeine sein. Wenn Se. Majestät Beruhigungsvor-
stellungen an England befiehlt, so könnten Sie Sich ziemlich
an den Text des gegen uns gerichteten englischen Circulairs
vom Frühjahr 75 halten.