88 Drittes Kapitel: Erfurt, Olmütz, Dresden.
Erscheinung Beider in Dresden — Fürst Schwarzenberg mit
Livreen, Silbergeschirr und Champagner im ersten Stock, der
preußische Minister mit Kanzleidienern und Wassergläsern eine
Treppe höher ) — war geeignet, auf das Selbstgefühl der be-
theiligten Vertreter beider Großmächte und auf ihre Ein-
schätzung durch die übrigen deutschen Vertreter nachtheilig für
uns zu wirken. Die alte preußische Einfachheit, die Friedrich der
Große seinem Vertreter in London mit der Redensart empfahl:
„Sage Er, wenn Er zu Fuß geht, daß 100000 Mann hinter
ihm gehn,“ bezeugt eine Renommage, die man dem geistreichen
Könige nur in einer der Anwandlungen von übertriebener
Sparsamkeit zutraun kann ). Heut hat jeder 100000 Mann,
nur wir hatten sie, wie es scheint, zur Dresdner Zeit nicht
verfügbar. Der Grundirrthum der damaligen preußischen
Politik war der, daß man glaubte, Erfolge, die nur durch
Kampf oder durch Bereitschaft dazu gewonnen werden konnten,
würden sich durch publicistische, parlamentarische und diplo-
matische Heucheleien in der Gestalt erreichen lassen, daß sie als
unfrer tugendhaften Bescheidenheit zum Lohn oratorischer Be-
thätigung unsfrer „deutschen Gesinnung“ aufgezwungen er-
schienen. Man nannte das später „moralische“ Eroberungen:
es war die Hoffnung, daß Andre für uns thun würden, was
wir selbst nicht wagten.
sorisch die Leitung des Ministeriums des Auswärtigen; am 19. De-
zember 1850 wurde er Ministerpräsident und gleichzeitig endgültig
Minister des Auswärtigen.
1) Beide wohnten im Prinzenpalais am Taschenberge, vgl. Beust, Aus
drei Vierteljahrhunderten Bd. I, 141 und Brief Friedrich Wilhelm's IV. an
den Prinzen Johann von Sachsen vom 25. Dezember 1850 (Briefwechsel
zwischen König Johann von Sachsen und den Königen Friedrich Wil-
helm IV. und Wilhelm I. von Preußen, herausg. von Johann Georg,
Herzog zu Sachsen, Leipzig, Quelle u. Meyer 1911) S. 270.
:„) Vgl. Bismarck's Aeußerung, Politische Reden II (2. Aufl.) 144.
654; V 160. 168.