Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Erster Band. (1)

Ein Brief Niebuhr's. Auszüge aus Gerlach's Briefen. 119 
  
Eisen, und unsre Stellung als Großmacht verdanken wir doch 
wahrhaftig nicht der Gefälligkeit von London, Paris und Wien, 
sondern unsrem guten Schwerte. Ueberdem aber spielt überall 
eine Empfindlichkeit gegen Rußland mit, die ich vollkommen 
begreife und auch theile, der man aber jetzt nicht nachgeben 
kann, ohne zugleich uns selbst zu züchtigen. 
Wo man nicht wahr gegen sich selbst ist, ist man allemal 
auch nicht klar. Und so leben und handeln wir zwar nicht in 
solcher Unklarheit, wie in Wien, wo man wie ein Schlaftrunkener 
alle Augenblicke handelt, als ob man schon im Kriege mit Ruß- 
land wäre: aber wie man neutral und Friedensvermittler sein, 
und zugleich Propositionen, wie die letzten der Seemächte emp- 
fehlen (kann) ½), verstehe ich mit meinen schwachen Verstandes- 
kräften nicht.“ 
Die folgenden Brieffragmente sind wieder von Gerlach. 
„Sanssouci, den 13. October 1854. 
.. Seitdem ich Alles gelesen und nach Kräften gegen ein- 
ander abgewogen habe, halte ich es für sehr wahrscheinlich, 
daß die zwei Drittel Stimmen Oestreich nicht entgehn werden. 
Hannover spielt ein falsches Spiel, Braunschweig ist westmächt- 
lich, die Thüringer ebenso, Baiern ist in allen Zuständen und 
des Königs Majestät ist ein schwankendes Rohr. Selbst über 
Beust gehen zweifelhafte Nachrichten ein. Hierzu kommt, daß 
man in Wien zum Kriege entschlossen scheint. Man sieht ein, 
daß die expectative bewaffnete Stellung nicht länger durchzu- 
führen ist, schon finanziell nicht, und hält das Umkehren für 
gefährlicher als das Vorwärtsgehen. Leicht ist das Umkehren 
auch wirklich nicht, und ich sehe auch nicht ein, woher dem 
Kaiser dazu die Entschlossenheit kommen soll. Oestreich kann 
sich für das erste und oberflächlich leichter mit den revolutionären 
1) Fehlt im Original. 
2) Briefe 2c. S. 112.
	        
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