140 Sechstes Kapitel: Sanssouci und Coblenz.
Weimar y, und ihren russischen Besuchern und dem lebhaften
Temperament einer erwachsenen und zur Uebernahme der Füh-
rung in ihrem Kreise geneigten Tochter, vielleicht auch die Ver-
muthung einer Idiosynkrasie gegen die präpotente Persönlichkeit
des Kaisers Nicolaus. Gewiß ist, daß der antirussische Einfluß
dieser hohen Frau auch in den Zeiten, wo sie Königin und
Kaiserin war, mir die Durchführung der von mir für noth-
wendig erkannten Politik bei Sr. Majestät häufig erschwert hat.
Wesentliche Hülfe leistete der Bethmann-Hollweg'schen Frac-
tion Herr von Schleinitz, der Specialpolitiker der Prinzessin,
der auch seinerseits zum Kampfe gegen Manteuffel dadurch
veranlaßt war, daß er aus dem gutsituirten, aber nicht sehr
fleißig besorgten Posten von Hanover ) aus dienstlichen Gründen
unter Umständen der Art entlassen war, daß ihm das Warte-
geld als Gesandter erst, nachdem er Minister geworden, nach-
träglich ausgezahlt wurde. Als Sohn eines braunschweigischen
Ministers ?) und als gewerbsmäßiger Diplomat an das Hof-
leben und die äußern Vorzüge des auswärtigen Dienstes ge-
wöhnt, ohne Vermögen, dienstlich verstimmt, bei der Prinzessin
aber in Gnaden stehend, wurde er natürlich von den Gegnern
Manteuffel's gesucht und schloß sich ihnen bereitwillig an. Er
wurde der erste auswärtige Minister der neuen Aera“) und
starb als Hausminister der Kaiserin Augusta 5.
Beim Frühstück — und diese Gewohnheit des Prinzen
wurde auch vom Kaiser Wilhelm beibehalten — hielt die
Prinzessin ihrem Gemal Vortrag unter Vorlegung von Briefen
1) Maria Paulowna, Gemalin des Großherzogs Karl Friedrich
von Sachsen-Weimar. .
2) Er war dorthin im Juni 1848 als Vertreter Preußens geschickt
worden; 1840 trat er als Minister des Auswärtigen in das Ministerium
Brandenburg ein, in dem er bis September 1850 verblieb.
:) Ferdinand Freiherr v. Schleinitz.
() 6. Nov. 1858 bis October 1861.
5) 19. Febr. 1885.