Bismarck in Ungnade bei Friedrich Wilhelm IV. 161
zugsweise in Potsdam und Charlottenburg, war die eines
Grand Seigneur auf dem Lande. Man wurde bei jeder An-
wesenheit zu den üblichen Zeiten nach Bedarf verpflegt, und
wenn man zwischen diesen Zeiten einen Wunsch hatte, auch
dann. Die Wirthschaftsführung war allerdings nicht auf russi-
schem Fuße, aber doch durchaus vornehm und reichlich nach
unsern Begriffen, ohne in Verschwendung auszuarten.
Nach etwa einer Stunde wurde ich durch den Adjutanten
vom Dienst zum Könige berufen und etwas kühler als sonst,
aber doch nicht so ungnädig empfangen, wie ich befürchtet hatte.
Se. Majestät hatte erwartet, daß ich auf die erste Anregung
erscheinen würde, und darauf gerechnet, daß ich im Stande sein
würde, in den 24 Stunden bis zur Abstimmung die conserva-
tive Fraction wie auf militärisches Commando Kehrt machen
und in des Königs Richtung einschwenken zu lassen. Ich setzte
auseinander, daß damit mein Einfluß auf die Fraction über= und
die Unabhängigkeit derselben unterschätzt werde. Ich hätte in
dieser Frage persönlich keine Ueberzeugung, die der des Königs
entgegenstände, und sei bereit, die letztre bei meinen Fractions-=
genossen zu vertreten, wenn er mir Zeit dazu lassen wolle und
geneigt sei, seine Wünsche in neuer Gestalt nochmals geltend
zu machen. Der König, sichtlich versöhnt, ging darauf ein und
entließ mich mit dem Auftrage, Propaganda für seinen Plan
zu machen. Letztres geschah mit mehr Erfolg, als ich selbst er-
wartet hatte; der Widerspruch gegen die Umgestaltung der
Körperschaft hatte nur die Führer der Fraction zu Trägern,
und seine Nachhaltigkeit beruhte nicht auf der Ueberzeugung
der Gesammtheit, sondern auf der Autorität, welche in jeder
Fraction die anerkannten Leiter zu haben pflegen — und nicht
mit Unrecht, da sie in der Regel die besten Redner und ge-
wöhnlich die einzigen arbeitsamen Geschäftsleute sind und den
Uebrigen die Mühe abnehmen, die vorkommenden Fragen zu
studiren. Ein Opponent in der Fraction, der nicht das Pleiche
Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I.