178 Achtes Kapitel: Besuch in Paris.
augenblicklichen Gedanken Sr. Majestät zu errathen. Der
König bejahte, und ich sagte:
„General von Canitz hielt den jungen Offizieren in der
Kriegsakademie Vorträge über Napoleon's Feldzüge. Ein streb-
samer Zuhörer fragte ihn, warum Napoleon diese oder jene
Bewegung unterlassen haben könne. Canitz antwortete: „Ja,
sehn Sie, wie dieser Napoleon eben war, ein seelensguter
Kerl, aber dumm, dumm“ — was natürlich die große Heiter-
keit der Kriegsschüler erregte. Ich fürchte, daß Eurer Mcjestät
Gedanken über mich denen des Generals von Canitz über
Napoleon ähnlich sind.“
Der König sagte lachend: „Sie mögen Recht haben; aber
ich kenne den jetzigen Napoleon nicht hinreichend, um Ihren
Eindruck bestreiten zu können, daß sein Herz besser sei als sein
Kopf.“ Daß die Königin mit meiner Ansicht unzufrieden war,
konnte ich aus den kleinen Aeußerlichkeiten entnehmen, durch
welche sich bei Hofe die Eindrücke kenntlich machen.
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Das Mißvergnügen über meinen Verkehr mit Napoleon
entsprang aus dem Begriffe oder genauer gesprochen dem
Worte Legitimität, das in dem modernen Sinne von
Talleyrand geprägt und 1814 und 1815 mit großem Erfolge
und zum Vortheil der Bourbonen als eine täuschende Zauber-
sormel benutzt worden ist.
Ich schalte hier einige Stücke aus meiner Correspondenz
mit Gerlach ein, die etwas später fallen, deren Anlaß aber
schon in den oben mitgetheilten Bruchstücken seiner Briefe zu
erkennen ist.
„Frankfurt, den 2. Mai 18570.
.. So einstimmig wir in Betreff der innern Politik sind,
so wenig kann ich mich in Ihre Auffassung der äußern hinein-
1) Bismarck's Briefe an den General L. v. Gerlach, S. 31 ff.