Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Erster Band. (1)

Der Monsieur décoré in Petersburg. Gesellschaftlicher Ton. 253 
  
Würdenträger wörtlich und thätlich angefahren zu werden, 
wenn man mit ihnen in unvermeidliche Berührung gerieth; 
und wer hinreichend Herr seines Pferdes war und eine Gerte 
in der Hand hatte, that wohl, sich bei solchen Conflicten als 
gleichberechtigt mit dem Insassen des Wagens zu legitimiren. 
Von den wenigen Reitern in der Umgebung von Petersburg 
konnte man in der Regel annehmen, daß sie deutsche oder 
englische Kaufleute waren und in dieser ihrer Stellung ärger- 
liche Berührungen nach Möglichkeit vermieden und lieber er- 
trugen, als sich bei den Behörden zu beschweren. Offiziere 
machten nur in ganz geringer Zahl von den guten Reitwegen 
auf den Inseln und weiter außerhalb der Stadt Gebrauch, 
und die es thaten, waren in der Regel deutschen Herkommens. 
Das Bemühn höhern Ortes, den Offizieren mehr Geschmack 
am Reiten beizubringen, hatte keinen dauernden Erfolg und 
bewirkte nur, daß nach einer jeden Anregung derart die kaiser- 
lichen Equipagen einige Tage lang mehr Reitern als gewöhn- 
lich begegneten. Eine Merkwürdigkeit war es, daß als die 
besten Reiter unter den Offizieren die beiden Admiräle anerkannt 
waren, der Großfürst Constantin und der Fürst Mentschikow. 
Auch abgesehn von der Reiterei mußte man wahrnehmen, 
daß in guten Manieren und gesellschaftlichem Tone die jüngre 
zeitgenössische Generation zurück stand gegen die vorhergehende 
des Kaisers Nicolaus und beide wieder in europäischer Bildung 
und Gesammterziehung gegen die alten Herrn aus der Zeit 
Alexander's I. Dessenungeachtet blieb innerhalb der Hofkreise 
und der „Gesellschaft“ der vollendete gute Ton in Geltung und 
in den Häusern der Aristokratie, namentlich so weit in diesen 
die Herrschaft der Damen reichte. Aber die Höflichkeit der 
Formen verminderte sich erheblich, wenn man mit jüngern 
Herrn in Situationen gerieth, welche nicht durch den Einfluß 
des Hofes oder vornehmer Frauen controllirt waren. Ich 
will nicht entscheiden, wie weit das Wahrgenommne aus einer
	        
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