256 Zehntes Kapitel: Petersburg.
daselbst im Sommerquartier lebenden Fürsten Gortschakow zu
conferiren, so fand ich in der mir angewiesenen Wohnung im
Schlosse für mich und einen Begleiter ein Frühstück von mehren
Gängen angerichtet, mit drei oder vier Sorten hervorragend
guter Weine; andre sind mir in der kaiserlichen Verpflegung
überhaupt niemals vorgekommen. Gewiß wurde in dem Haus-
halte viel gestohlen, aber die Gäste des Kaisers litten darunter
nicht; im Gegentheil, ihre Verpflegung war auf reiche Brosamen
für den „Dienst“ berechnet. Keller und Küche waren absolut
einwandsfrei, auch in Vorkommnissen, wo sie uncontrollirt
blieben. Vielleicht hatten die Beamten, denen die nicht ge-
trunknen Weine verblieben, durch lange Erfahrung schon einen
zu durchgebildeten Geschmack gewonnen, um Unregelmäßigkeiten
zu dulden, unter denen die Qualität der Lieferung gelitten
hätte. Die Preise der Lieferungen waren nach allem, was ich
erfuhr, allerdings gewaltig hoch. Von der Gastfreiheit des
Haushalts bekam ich eine Vorstellung, wenn meine Gönnerin,
die Kaiserin-Witwe Charlotte, Schwester unsers Königs, mich
einlud. Dann waren für die mit mir eingeladnen Herrn der
Gesandschaft zwei und für mich drei Diners der kaiserlichen
Küche entnommen. In meinem Quartier wurden für mich
und meine Begleiter Frühstücke und Diners angerichtet und
berechnet, wahrscheinlich auch gegessen und getrunken, als ob
meine und der Meinigen Einladung zu der Kaiserin garnicht
erfolgt sei. Das Couvert für mich wurde einmal in meinem
Quartier mit allem Zubehör auf= und abgetragen, das zweite
Mal an der Tafel der Kaiserin in Gemeinschaft mit denen
meiner Begleiter ausgelegt, und auch dort kam ich mit ihm
nicht in Berührung, da ich vor dem Bette der kranken Kaiserin
ohne meine Begleiter in kleiner Gesellschaft zu speisen hatte.
Bei solchen Gelegenheiten pflegte die damals in der ersten
Blüthe jugendlicher Schönheit stehende Prinzessin Leuchtenberg ,
1) Maria Maximilianowna.