Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Erster Band. (1)

Briefwechsel mit Roon über die Huldigungsfrage. 277 
  
Fundament der Gesundheit abhanden gekommen ist. Doch zur 
Sache. In dem Huldigungsstreit verstehe ich nicht recht, wie 
er so wichtig hat werden können, für beide Theile. Es ist mir 
rechtlich garnicht zweifelhaft, daß der König in keinen Wider- 
streit mit der Verfassung tritt, wenn er die Huldigung in her- 
kömmlicher Form annimmt. Er hat das Recht, sich von jedem 
einzelnen seiner Unterthanen und von jeder Corporation im 
Lande huldigen zu lassen, wann und wo es ihm gefällt, und 
wenn man meinem Könige ein Recht bestreitet, welches er aus- 
üben will und kann, so fühle ich mich verpflichtet, es zu ver- 
fechten, wenn ich auch an sich nicht von der praktischen Wichtig- 
keit seiner Ausübung durchdrungen bin. In diesem Sinne 
telegraphirte ich an Schlieffen, daß ich den „Besitztitel“, auf 
dessen Grund ein neues Ministerium sich etabliren soll, für 
richtig halte, und sehe die Weigerung der andern Partei und 
die Wichtigkeit, welche sie auf Verhütung des Huldigungsactes 
legt, als doctrinäre Verbissenheit an. Wenn ich hinzufügte, 
daß ich die sonstige Vermögenslage nicht kenne, so meinte ich 
damit nicht die Personen und Fähigkeiten, mit denen wir das 
Geschäft übernehmen könnten, sondern das Programm, auf 
dessen Boden wir zu wirthschaften haben würden. Darin wird 
m. E. die Schwierigkeit liegen. Meinem Eindruck nach lag der 
Hauptmangel unfrer bisherigen Politik darin, daß wir liberal 
in Preußen und conservativ im Auslande auftraten, die Rechte 
unfres Königs wohlfeil, die fremder Fürsten zu hoch hielten: 
eine natürliche Folge des Dualismus zwischen der consti- 
tutionellen Richtung der Minister und der legitimistischen, 
welche der persönliche Wille Seiner Majestät unfrer auswär- 
tigen Politik gab. Ich würde mich nicht leicht zu der Erbschaft 
Schwerin's entschließen, schon weil ich mein augenblickliches Ge- 
sundheits-Capital dazu nicht ausreichend halte. Aber selbst wenn 
es der Fall wäre, würde ich auch im Innern das Bedürfniß 
einer andern Färbung unser auswärtigen Politik fühlen. Nur
	        
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