Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Erster Band. (1)

330 Dreizehntes Kapitel: Dynastien und Stämme. 
nachdem ich den Eindruck erhalten hatte, daß die gegenseitige 
Anlehnung von Oestreich und Preußen ein Jugendtraum war, 
entstanden durch Nachwirkung der Freiheitskriege und der Schule, 
nachdem ich mich überzeugt hatte, daß das Oestreich, mit dem 
ich bis dahin gerechnet, für Preußen nicht existirte: gewann ich 
die Ueberzeugung, daß auf der Basis der bundestäglichen Auto- 
rität nicht einmal die vormärzliche Stellung Preußens im Bunde 
zurückzugewinnen, geschweige denn eine Reform der Bundes- 
verfassung möglich sein werde, durch die das deutsche Volk der 
Verwirklichung seines Anspruchs auf völkerrechtliche Existenz als 
eine der großen europäischen Nationen Aussicht erhalten hätte. 
Ich erinnre mich eines Wendepunkts, der in meinen Ansichten 
eintrat, als ich in Frankfurt die mir bis dahin unbekannte Depesche 
des Fürsten Schwarzenberg vom 7. December 1850 zu lesen 
bekam, in welcher er die Olmützer Ergebnisse so darstellt, als 
ob es von ihm abgehangen hätte, Preußen „zu demüthigen“ 
oder großmüthig zu pardonniren. Der mecklenburgische Ge- 
sandte, Herr von Oertzen, mein ehrlicher und conservativer Ge- 
sinnungsgenosse in dualistischer Politik, mit dem ich darüber 
sprach, suchte mein durch diese Schwarzenbergische Depesche 
verletztes preußisches Gefühl zu besänftigen. Trotz der für 
preußisches Gefühl demüthigenden Inferiorität unfres Auf- 
tretens in Olmütz und Dresden war ich noch gut östreichisch 
nach Frankfurt gekommen; der Einblick in die Schwarzenber= 
gische Politik „avilir, puis démolir" 1), den ich dort actenmäßig 
gewann, enttäuschte meine jugendlichen Illusionen. Der gor- 
dische Knoten deutscher Zustände ließ sich nicht in Liebe dua- 
1) „Erst schwächen, dann vernichten.“ — Ob Schwarzenberg das 
berüchtigte Wort wirklich gesprochen hat, muß als fraglich gelten. Nach 
Flathe, Restauration und Revolution S. 691 soll er es einer deutschen 
Fürstin gegenüber ausgesprochen haben, doch hat sich ein Erweis noch 
nicht erbringen lassen, vgl. Zeißberg, Allg. D. Biogr. Bd. 33, 284. — 
Die Depesche vom 7. Dec. 1850 ist noch unveröffentlicht.
	        
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