Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Erster Band. (1)

König und Kronprinz. Vermittelnde Haltung Bismarck's. 365 
  
Während ich die Erregung des Königs als berechtigt aner- 
kennen mußte, bemühte ich mich zu verhindern, daß er ihr 
durch staatliche oder auch nur öffentlich erkennbare Acte Folge 
gebe. Ich mußte es mir im dynastischen Interesse zur Aufgabe 
stellen, den König zu beruhigen und von Schritten, die an 
Friedrich Wilhelm I. und Küstrin ½) erinnert hätten, abzuhalten. 
Es geschah das hauptsächlich am 10. Juni auf einer Fahrt von 
Babelsberg nach dem Neuen Palais, wo Se. Majestät das 
Lehrbataillon besichtigte; die Unterhaltung wurde wegen der 
Dienerschaft auf dem Bocke französisch geführt. Es gelang mir 
in der That, die väterliche Entrüstung durch die Staatsraison 
zu besänftigen, daß in dem vorliegenden Kampfe zwischen König- 
thum und Parlament ein Zwiespalt innerhalb des Königlichen 
Hauses abgestumpft, ignorirt und todtgeschwiegen werden, daß 
der Vater und König in höherm Maße dafür Sorge tragen 
müsse, daß die Interessen beider nicht geschädigt würden. „Ver- 
fahren Sie säuberlich mit dem Knaben Absalom!“ sagte ich in 
Anspielung daraus, daß schon Geistliche im Lande über Samuelis 
Buch 2, Kapitel 15, Vers 3 und 4 ) predigten; „vermeiden Ew. 
Majestät jeden Entschluß ab irato ), nur die Staatsraison kann 
maßgebend sein.“ Einen besondern Eindruck schien es zu machen 
als ich daran erinnerte, daß in dem Conflicte zwischen Friedrich 
Wilhelm I. und seinem Sohne dem Letztern die Sympathie der 
Zeitgenossen und der Nachwelt gehöre, daß es nicht rathsam 
sei, den Kronprinzen zum Märtyrer zu machen. 
1) In Küstrin wurde der Kronprinz Friedrich nach seinem miß- 
glückten Fluchtversuch in Haft gethan (1730). 
2) Wenn jemand einen Handel hatte, daß er zum König vor Gericht 
kommen sollte, rief ihn Absalom zu sich und sprach: „.. Siehe, deine 
Sache ist schlecht und recht; aber du hast keinen Verhörer beim Könige.“ 
Und Absalom sprach: „O, wer setzet mich zum Richter im Lande, daß 
jedermann zu mir käme, der eine Sache und Gericht hat, daß ich ihm 
zum Rechten hülfe!"“ 
:) Unter Wirkung des Zorns.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.