98 Zweiundzwanzigstes Kapitel: Die Emser Depesche.
seine Gemalin mit ihrer weiblich berechtigten Furchtsamkeit und
ihrem Mangel an Nationalgefühl machte, wurde die Wider-
standsfähigkeit des Königs abgeschwächt durch sein ritterliches
Gefühl der Frau und durch sein monarchisches Gefühl einer
Königin und besonders der seinigen gegenüber. Man hat mir
erzählt, daß die Königin Augusta ihren Gemal vor seiner Ab-
reise von Ems nach Berlin in Thränen beschworen habe, den
Krieg zu verhüten im Andenken an Jena und Tilsit). Ich
halte die Angabe für glaubwürdig bis auf die Thränen.
Zum Rücktritt entschlossen trotz der Vorwürfe, die mir Roon
darüber machte, lud ich ihn und Moltke zum 13. ein, mit mir
zu Drei zu speisen, und theilte ihnen bei Tische meine An-
und Absichten mit. Beide waren sehr niedergeschlagen und
machten mir indirect Vorwürfe, daß ich die im Vergleiche mit
ihnen größere Leichtigkeit des Rückzugs aus dem Dienste egoistisch
benutzte. Ich vertrat die Meinung, daß ich mein Ehrgefühl
nicht der Politik opfern könne, daß sie Beide als Berufssoldaten
wegen der Unfreiheit ihrer Entschließung nicht dieselben Ge-
sichtspunkte zu nehmen brauchten wie ein verantwortlicher aus-
wärtiger Minister. Während der Unterhaltung wurde mir ge-
meldet, daß ein Ziffertelegramm, wenn ich mich recht erinnre
von ungefähr 200 Gruppen, aus Ems, von dem Geheimrath
Abeken unterzeichnet, in der Uebersetzung begriffen sei. Nach-
dem mir die Entzifferung überbracht war, welche ergab, daß
Abeken das Telegramm auf Befehl Sr. Majestät redigirt und
unterzeichnet hatte, las ich dasselbe meinen Gästen vor?), deren
1) Schlacht bei Jena: 14. October 1806, Friede von Tilsit: 9. Juli 1807.
2) Die am 13. Juli 1870 3 Uhr 50 Min. Nachm. in Ems aufge-
gebene, 6 Uhr 9 Min. in Berlin eingetroffene Depesche lautete in der
Entzifferung:
„Se. Majestät schreibt mir: „Graf Benedetti fing mich auf der Pro-
menade ab, um auf zuletzt sehr zudringliche Art von mir zu verlangen,
ich sollte ihn autorisiren, sofort zu telegraphiren, daß ich für alle Zu-
kunft mich verpflichtete, niemals wieder meine Zustimmung zu geben,