104 Zweiundzwanzigstes Kapitel: Die Emser Depesche.
hebung und Reizbarkeit wird uns dazu machen, wenn wir mit
europäischer Oeffentlichkeit, so weit es uns ohne das
Sprachrohr des Reichstags möglich ist, verkünden, daß wir
den öffentlichen Drohungen Frankreichs furchtlos entgegen—
treten.“
Diese meine Auseinandersetzung erzeugte bei den beiden
Generalen einen Umschlag zu freudiger Stimmung, dessen Leb-
haftigkeit mich überraschte. Sie hatten plötzlich die Lust zu essen
und zu trinken wiedergefunden und sprachen in heitrer Laune.
Roon sagte: „Der alte Gott lebt noch und wird uns nicht in
Schande verkommen lassen.“ Moltke trat so weit aus seiner
gleichmüthigen Passivität heraus, daß er sich, mit freudigem
Blick gegen die Zimmerdecke und mit Verzicht auf seine sonstige
Gemessenheit in Worten, mit der Hand vor die Brust schlug
und sagte: „Wenn ich das noch erlebe, in solchem Kriege unfre
Heere zu führen, so mag gleich nachher „die alte Carcasse“ ½)
der Teufel holen.“ Er war damals hinfälliger als später und
hatte Zweifel, ob er die Strapazen des Feldzugs überleben
werde.
Wie lebhaft sein Bedürfniß war, seine militärisch-strategische
Neigung und Befähigung praktisch zu bethätigen, habe ich nicht
nur bei dieser Gelegenheit, sondern auch in den Tagen vor dem
Ausbruche des böhmischen Krieges beobachtet. In beiden Fällen
fand ich meinen militärischen Mitarbeiter im Dienste des Königs
abweichend von seiner sonstigen trocknen und schweigsamen Ge-
wohnheit heiter, belebt, ich kann sagen, lustig. In der Juni-
nacht 1866, in der ich ihn zu mir eingeladen hatte, um mich
zu vergewissern, ob der Aufbruch des Heers nicht um 24 Stunden
verfrüht werden könnte, bejahte er die Frage und war durch
die Beschleunigung des Kampfes angenehm erregt. Indem er
elastischen Schritts den Salon meiner Frau verließ, wandte er
1) Das alte Gerippe.