Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Zweiter Band. (2)

Kutusoff. Stagnation d. Belagerung von Paris. Bismarck's Sorge. 125 
  
nung. Es war unter diesen Umständen keine übertriebene 
Aengstlichkeit, wenn ich in schlaflosen Nächten von der Sorge 
gequält wurde, daß unsre politischen Interessen nach so großen 
Erfolgen durch das zögernde Hinhalten des weitern Vorgehns 
gegen Paris schwer geschädigt werden könnten. Eine weltge- 
schichtliche Entscheidung in dem Jahrhunderte alten Kampfe 
zwischen den beiden Nachbarvölkern stand auf dem Spiele und 
in Gefahr, durch persönliche und vorwiegend weibliche Einflüsse 
ohne historische Berechtigung gefälscht zu werden, durch Ein- 
flüsse, die ihre Wirksamkeit nicht politischen Erwägungen ver- 
dankten, sondern Gemüthseindrücken, welche die Redensarten 
von Humanität und Civilisation, die aus England bei uns im- 
portirt werden, auf deutsche Gemüther noch immer haben; war 
uns doch während des Krimkriegs von England aus nicht ohne 
Wirkung auf die Stimmung gepredigt worden, daß wir „zur 
Rettung der Civilisation" die Waffen für die Türken ergreifen 
müßten. Die entscheidenden Fragen konnten, wenn man wollte, 
als ausschließlich militärische behandelt werden, und man konnte 
das als Vorwand nehmen, um mir das Recht der Betheiligung 
an der Entscheidung zu versagen; sie waren aber doch solche, 
von deren Lösung die diplomatische Möglichkeit in letzter Instanz 
abhing, und wenn der Abschluß des französischen Kriegs ein 
weniger günstiger für Deutschland gewesen wäre, so blieb auch 
dieser gewaltige Krieg mit seinen Siegen und seiner Begeiste- 
rung ohne die Wirkung, die er für unfre nationale Einigung 
haben konnte. Es war mir niemals zweifelhaft, daß der 
Herstellung des Deutschen Reichs der Sieg über Frankreich 
vorhergehn mußte, und wenn es uns nicht gelang, ihn 
diesmal zum vollen Abschluß zu bringen, so waren weitre 
Kriege ohne vorgängige Sicherstellung unfrer vollen Einigung 
in Sicht.
	        
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