Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Zweiter Band. (2)

134 Dreiundzwanzigstes Kapitel: Versailles. 
  
Kaisertitel herzustellen, welcher nicht einer preußisch-dynastischen 
Eitelkeit, sondern allein dem Glauben an seine Nützlichkeit für 
Förderung der nationalen Einheit entsprang 1), im Anfange 
(bei):) der günstigen Wendung des Kriegs nicht immer Anklang 
gefunden. Seine Königliche Hoheit hatte von irgend einem der 
politischen Phantasten, denen er sein Ohr lieh, den Gedanken 
aufgenommen, die Erbschaft des von Karl dem Großen wieder- 
erweckten „römischen" Kaiserthums sei das Unglück Deutsch- 
lands gewesen, ein ausländischer, für die Nation ungesunder 
Gedanke. So nachweisbar letztres auch geschichtlich sein mag, 
so unpraktisch war die Bürgschaft gegen analoge Gefahren, 
welche des Prinzen Rathgeber?) in dem Titel „König“ der 
Deutschen sahn. Es lag heut zu Tage keine Gefahr vor, daß 
der Titel, welcher allein in der Erinnrung des Volks lebt, dazu 
beitragen würde, die Kräfte Deutschlands den eignen Inter- 
essen zu entfremden und dem transalpinen Ehrgeize bis nach 
Apulien hin dienstbar zu machen. Das aus einer irrigen Vor- 
stellung entspringende Verlangen, das der Prinz gegen mich 
aussprach, war nach meinem Eindrucke ein völlig ernstes und 
geschäftliches, dessen Inangriffnahme durch mich gewünscht wurde. 
Mein Einwand, anknüpfeud an die Coexistenz der Könige von 
Bayern, Sachsen, Würtemberg mit dem intendirten Könige in 
1) Vgl. besonders Wilmowski, Meine Erinnerungen an Bismarck. 
(Breslau, E. Trewendt, 1900.) S. 118 ff. 
2) Die Präposition „bei“ scheint bei Umschrift des Textes ausgefallen 
zu sein. Da der Krieg vom ersten Tage an günstig für Deutschland ver- 
lief, kann von einem Anfang der günstigen Wendung nicht gesprochen 
werden. Vielmehr sind die Worte „im Anfange“ im Sinne des Ver- 
fassers auf den Anfang seiner Verhandlungen mit dem Kronprinzen in 
der Kaiserfrage zu beziehen. Bei allen andern Gelegenheiten, wo 
Bismarck seit Sommer 1888 über diese Besprechungen Auskunft giebt, 
unterscheidet er jedesmal genau zwei Phasen der Unterhandlungen 
mit dem Kronprinzen, die eine Anfang September, die andre später in 
Versailles; man uvgl. den Immediatbericht, 23. Sept. 1888. 
2) Hauptsächlich Gustav Freytag.
	        
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