Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Zweiter Band. (2)

194 Sechsundzwanzigstes Kapitel: Intriguen. 
  
zu gewagte Berechnung annehmen, daß Frankreich, wenn seine 
Heere siegreich in Berlin ständen, bei dem Friedensschlusse die 
Interessen der katholischen Kirche in Preußen nicht unberück- 
sichtigt lassen würde, wie der Kaiser von Rußland Friedens- 
schlüsse zu benutzen pflegt, um sich seiner Glaubensgenossen im 
Oriente anzunehmen. Es würden sich die gesta Dei per Francos ) 
vielleicht um einige neue Fortschritte der päpstlichen Macht be- 
reichert haben, und die Entscheidung der confessionellen Kämpfe, 
die nach der Meinung katholischer Schriftsteller (Donoso Cortes 
de Valdegamas) schließlich „auf dem Sande der Mark Branden- 
burg“ auszufechten sind, würde durch eine übermächtige Stellung 
Frankreichs in Deutschland nach verschiednen Richtungen hin 
gefördert worden sein. Die Parteinahme der Kaiserin Eugenie 
für die kriegerische Richtung der französischen Politik wird schwer- 
lich ohne Zusammenhang mit ihrer Hingebung für die katholische 
Kirche und den Papst gewesen sein; und wenn die französische 
Politik und die persönlichen Beziehungen Louis Napoleon's zur 
italienischen Bewegung es unmöglich machten, daß Kaiser und 
Kaiserin dem Papste in Italien in befriedigender Weise gefällig 
waren, so würde die Kaiserin ihre Ergebenheit für den Papst 
im Falle des Sieges in Deutschland bethätigt und auf diesem 
Gebiete eine allerdings unzulängliche fiche de consolation ) für 
die Schäden gewährt haben, die der päpstliche Stuhl in Italien 
unter und durch Napoleon's Mitwirkung erlitten hatte. 
Wenn nach dem Frankfurter Frieden ) eine katholisirende 
Partei, sei es royalistischer, sei es republikanischer Form, in 
Frankreich am Ruder geblieben wäre, so würde es schwerlich 
gelungen sein, die Erneurung des Krieges so lange, wie ge- 
schehn, hinauszuschieben. Es war alsdann zu befürchten, daß 
1) S. o. S. 93. 
:) Valdegamas war 1849 spanischer Gesandter in Berlin (gest. 1853). 
2) Entschädigung. 
1) 10. Mai 1871.
	        
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