Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Zweiter Band. (2)

196 Sechsundzwanzigstes Kapitel: Intriguen. 
  
Engländers zur Empfehlung diente 1). Ihre Majestät hatte 
französisch sprechende Diener, ihr französischer Vorleser Gérard#) 
fand Eingang in die Kaiserliche Familie und Correspondenz. 
Alles Ausländische mit Ausnahme des Russischen hatte für die 
Kaiserin dieselbe Anziehungskraft wie für so viele deutschen 
Kleinstädter. Bei den alten langsamen Verkehrsmitteln war 
früher an deutschen Höfen ein Ausländer, besonders ein Eng- 
länder oder Franzose fast immer ein interessanter Besuch, nach 
dessen Stellung in der Heimath nicht ängstlich gefragt wurde; 
um ihn hoffähig zu machen, genügte es, daß er „weit her“ 
und eben kein Landsmann war. 
Auf demselben Boden erwuchs in ausschließlich evangelischen 
Kreisen das Interesse, welches die fremdartige Erscheinung 
eines Katholiken und, am Hofe, eines Würdenträgers der 
katholischen Kirche, damals einflößte. Es war zur Zeit Friedrich 
Wilhelm's III. eine interessante Unterbrechung der Einförmig- 
keit, wenn Jemand katholisch war. Ein katholischer Mitschüler 
wurde ohne jedes confessionelle Uebelwollen mit einer Art von 
Verwunderung wie eine exotische Erscheinung und nicht ohne 
Befriedigung darüber betrachtet, daß ihm von der Bartholomäus- 
nacht?), von Scheiterhaufen und dem dreißigjährigen Kriege 
nichts anzumerken war. Im Hause des Professors von Savigny, 
dessen Frau katholisch war, wurde den Kindern, wenn sie 14 Jahre 
alt waren, die Wahl der Confession freigestellt; sie folgten der 
evangelischen Confession des Vaters mit Ausnahme meines 
*&)) Derselbe, wahrscheinlich von Gontaut an Ihre Majestät emp- 
sohlen, unterhielt einen lebhaften Briefwechsel mit Gambetta, der nach 
des Letztern Tode in die Hände von Madame Adam gerieth und als 
hauptsächlichstes Material für die Schrift La Société de Berlin gedient 
hat. Nach Paris zurückgekehrt, wurde Gérard eine Zeit lang Leiter 
der officiösen Presse, dann Legationssecretär in Madrid, Geschäftsträger 
in Rom und 1889 in Montenegro. 
1) S. Bd. 1 139 f. 141. 
:) 24. August 1572.
	        
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