Schreiben Bismarck's an d. Kaiser. Eulenburg's Verwaltungsreform. 205
in diesen Kreisen lebt, hat die Lügen derselben als sichre Nach-
richten nach Paris gegeben. Aber auch das würde im Grunde
noch nicht hinreichen, der Königin Victoria die Zuversicht und
das Vertraun zu den von Eurer Majestät Selbst demen-
tirten Unwahrheiten zu geben, das Höchstdieselbe noch in dem
Briefe vom 20. Juni dusspricht. Ich bin mit den Eigenthüm-
lichkeiten der Königin zu wenig bekannt, um eine Meinung
darüber zu haben, ob es möglich ist, daß die Wendung, es sei
„ein Leichtes nachzuweisen, etwa nur den Zweck haben könnte,
eine Uebereilung, die einmal geschehn ist, zu maskiren, anstatt
sie offen einzugestehn.
Verzeihn E. M., wenn das Interesse des Fachmannes“ mich
über diesen abgemachten Punkt nach dreimonatlicher Enthaltung
hat weitläufig werden lassen"“ ½.
3.
Graf Friedrich Eulenburg erklärte sich Sommer 1877 körper-
lich bankrott, und in der That war seine Leistungsfähigkeit sehr
verringert, nicht durch Uebermaß von Arbeit, sondern durch die
Schonungslosigkeit, mit der er sich von Jugend auf jeder Art
von Genuß hingegeben hatte. Er besaß Geist und Muth, aber
nicht immer Lust zu ausdauernder Arbeit. Sein Nervensystem
war geschädigt und schwankte schließlich zwischen weinerlicher
Mattigkeit und künstlicher Aufregung. Dabei hatte ihn in der
Mitte der 70er Jahre, wie ich vermuthe, ein gewisses Popu-
laritätsbedürfniß überfallen, das ihm früher fremd geblieben
war, so lange er gesund genug war, um sich zu amüsiren. Diese
Anwandlung war nicht frei von einem Anflug von Eifersucht
auf mich, wenn wir auch alte Freunde waren. Er suchte sie
dadurch zu befriedigen, daß er sich der Verwaltungsreform an-
nahm. Sie mußte gelingen, wenn sie ihm Ruhm erwerben
1) Das Weitere s. im Anhang zu den Gedanken und Erinnerungen
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