206 Sechsundzwanzigstes Kapitel: Intriguen.
sollte. Um den Erfolg zu sichern, machte er bei den parlamen-
tarischen Verhandlungen darüber unpraktische Concessionen und
bürokratisirte den wesentlichen Träger unfrer ländlichen Zu-
stände, den Landrathsposten, gleichzeitig mit der neuen Local-
Verwaltung. Der Landrathsposten war in frühern Zeiten eine
preußische Eigenthümlichkeit, der letzte Ausläufer der Verwal-
tungshierarchie, durch den sie mit dem Volke unmittelbar in
Berührung stand. In dem socialen Ansehn aber stand der
Landrath höher als andre Beamte gleichen Ranges. Man wurde
früher nicht Landrath mit der Absicht, dadurch Carrière zu
machen, sondern mit der Aussicht, sein Leben als Landrath des.
Kreises zu beschließen 1). Die Autorität eines solchen wuchs mit
den Jahren seiner Amtsdauer; er hatte keine andern Inter-
essen als die des Kreises zu vertreten und für keine andern
Wünsche als die seiner Eingesessenen zu streben. Es liegt auf
der Hand, wie nützlich eine solche Institution nach oben und
nach unten wirkte und mit wie geringen Mitteln an Menschen
und Geld die Kreisgeschäfte betrieben werden konnten. Seit-
dem ist der Landrath ein reiner Regirungsbeamter geworden,
seine Stellung ein Durchgangsposten für weitre Beförderung
im Staatsdienste, eine Erleichterung der Wahl zum Abgeord-
neten; und in der Eigenschaft des letztern wird er, wenn er
strebsam ist, seine Beziehungen nach oben als Beamter wichtiger
finden als die zu den Einsassen seines Kreises. Zugleich sind
die neugeschaffnen örtlichen Amtsvorstände nicht Organe der
Selbstverwaltung nach Analogie der städtischen Behörden, son-
dern eine unterste schreiberartig wirkende Klasse der Bürokratie
geworden, durch welche jede unpraktische oder müßige Anregung
der unzulänglich beschäftigten und den Realitäten des Lebens
fremden Centralbürokratie über das platte Land verbreitet wird
und die die unglücklichen Selbst-Verwalter nöthigt, Berichte und
1) S. Bd. 1, 12 ff.